Stress | Haarfarbe
LASSEN SICH GRAUE HAARE AUFHALTEN?
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Es wird wohl der Stress gewesen sein. Als die französische Königin Marie Antoinette erfuhr, dass sie alsbald geköpft werden sollte, bekam sie angeblich über Nacht graue Haare. Die Wissenschaft verweist diese Geschichte in den Bereich der Legenden – doch dass psychische Belastung einen Teil dazu beiträgt, dass die Haare erblassen, hielt man durchaus für wahr. Denn zufällig hatte man entdeckt, dass Mäuse, denen man experimentell Schmerz zugefügt und sie damit unter Stress gesetzt hatte, plötzlich helles Fell bekamen. Die Forscher um Bing Zhang von der Harvard University in Cambridge wurden daraufhin neugierig: Hing der Farbverlust wohl mit dem schmerzinduzierten Stress zusammen? Sie unterbanden daraufhin die Signalweiterleitung über das sympathische Nervensystem der Tiere. Dieser Teil des vegetativen Nervensystems ist unter anderem für unsere Reaktion auf Belastung und Gefahr zuständig. Es kontrolliert die sogenannte Kampf-oder-Flucht-Reaktion und löst zum Beispiel die Ausschüttung von Stresshormonen aus, die unser Herz schneller schlagen lassen.
Die Trennung der Signalweiterleitung hatte Folgen: Die Mäuse ergrauten tatsächlich nach dem Schmerzstress, der ihnen im Dienste der Wissenschaft zugefügt wurde. „Diese und andere Experimente legten nahe, dass das sympathische Nervensystem am Pigmentverlust der Haare beteiligt ist und dass Schmerz in diesem Fall als ein mächtige Stressfaktor wirkt“, fasste Mitautor Thiago Cunha zusammen. Wie aber funktioniert das genau? Die Wissenschaftler ließen nicht locker und fanden schließlich die Antwort. Akuter Stress wirkt sich nämlich auf die Melanozyten im Haarfollikel aus. „Diese pigmentproduzierenden Zellen sind in jungen Jahren undifferenziert wie Stammzellen, doch mit zunehmendem Alter reifen sie. Ist dieser Prozess abgeschlossen, hören sie auf, Melanin zu produzieren und wandern ab“, erläutert Cunha.
Auch Noradrenalin spielt dabei eine Rolle. Denn die sympathischen Nervenfasern, die im Haarfollikel enden, senden bei Stress dieses Hormon aus. Die Melanozyten-Stammzellen besitzen einen Rezeptor dafür; wird er kräftig aktiviert, beschleunigt das den natürlichen Alterungsprozess der pigmentproduzierenden Zellen im Haar. Sind sie aber verloren, gibt es keinen Farbnachschub. Der Schaden ist somit dauerhaft.
Doch mit der Blockade eines bestimmten Proteins in der DNA gelang es ebenfalls, graue Mäuse zu verhindern. Weiterführende Experimente mit menschlichen Melanozyten, denen ebenfalls ein CDK-Hemmer verabreicht wurde, bestätigen, dass ein ganz ähnlicher Mechanismus beim Menschen abläuft.
Sollte ein solcher CDK-Hemmer bald in der Apotheke erhältlich sein? Das stehe noch in den Sternen, sagt Cuhang. Doch noch etwas anderes ist für die Forscher interessant: Andere Gewebe und Organe könnten in ähnlicher Weise betroffen sein. „Aktuell“, deutet Cuhang an, „untersuchen wir bereits den Effekt sympathischer Aktivität auf weitere Subpopulationen von Stammzellen.“ Das hört sich fast so an, als hätte man dem natürlichen Alterungsprozess des Körpers bald etwas entgegenzusetzen...
Alexandra Regner,
PTA und Journalistin
Quelle: wissenschaft.de