Mund- und Zahnpflege
KINDHEIT OHNE KARIES
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Hartnäckig hält sich der Mythos, Milchzähne würden nicht ganz so viel Aufmerksamkeit brauchen, denn schließlich fielen die ersten Beißer ja ohnehin wieder aus. Und so kommt es, dass die Pflege der ersten Zähnchen in vielen Familien recht locker gehandhabt oder sogar sträflich vernachlässigt wird. Dabei weiß die Wissenschaft längst, wie wichtig die konsequente und richtige Pflege des Milchgebisses für die Entwicklung und Gesundheit des Nachwuchses ist.
Fakt ist, dass den Milchzähnen zur Zerkleinerung von Nahrung, zum Sprechenlernen und als Platzhalter für die bleibenden Zähne größte Bedeutung zukommt. Fallen die ersten Zähne vorzeitig aus, kann sich das negativ auf die Sprachentwicklung und auf die Stellung der bleibenden Zähne auswirken. Und nicht nur das: Infektionen, die von den Milchzähnen ausgehen, können das Allgemeinbefinden des Kindes beeinträchtigen. Sicherlich Gründe genug, in Sachen Milchzahnpflege umzudenken und die ersten Zähne durch Systempflege vor Schädigung zu schützen. Kariesprophylaxe heißt das Zauberwort.
Keine Chance für ZahnlöcherKaries ist die häufigste Erkrankung der Zahnhartsubstanz und entsteht durch das Zusammenwirken von Nahrungsbestandteilen und bestimmten Mikroorganismen in der Mundhöhle. Diese kariogenen Mikroorganismen in den Zahnbelägen produzieren bei einem Überangebot an kariogenem Substrat – speziell Zucker und anderen Kohlenhydraten – organische Säuren. Wirken diese Säuren lange auf die Zahnhartsubstanz ein, so entmineralisiert sich diese. Schreitet dieser Prozess voran, entstehen die berüchtigten „Zahnlöcher“.
KURZ UND KNAPP
Das menschliche Milchgebiss mit seinen insgesamt 20 Zähnen ist ein genialer Einfall der Natur. Denn im recht engen Baby- und Kleinkindkiefer würden die bleibenden Zähne keinen Platz finden – weder hinsichtlich ihrer Breite noch bezüglich ihrer langen Wurzeln. Da sind die kleinen Milchzähne, die im Gegensatz zu einem Irrglauben allerdings auch Wurzeln haben, eine platzsparende Alternative. Etwa zwischen dem sechsten und neunten Lebensmonat brechen im Babykiefer zunächst die mittleren Schneidezähne durch, es folgen die seitlichen Schneidezähne , die ersten Milchmolaren (12. – 16. Monat), die Eckzähne (16. – 20. Monat) und schließlich die zweiten Milchmolaren (20. – 30. Monat). Etwa mit zweieinhalb Jahren ist das Milchgebiss komplett und leistet
in den kommenden Jahren wertvolle Dienste. Der Zahnwechsel beginnt mit etwa sechs Jahren. Meist bricht hinter der Milchzahnreihe zunächst der erste bleibende Backenzahn (6-Jahr Molar) durch, ehe dann die Milchzähne nach und nach ausfallen.
Milchzähne sind im Vergleich zu ihren bleibenden Artgenossen besonders anfällig für Karies. Das liegt daran, dass ihr Zahnschmelz noch nicht vollständig ausgereift ist. Die Kariesprophylaxe im Kindesalter basiert auf mehreren Säulen. Wichtig sind vor allem:
- eine systematische Zahnpflege, die mit dem Durchbruch des ersten Milchzahns beginnt;
- eine optimale Versorgung des Sprösslings mit Fluoriden;
- eine gesunde, vollwertige Ernährung, die durch einen bewussten Umgang mit zuckerhaltigen und sauren Nahrungsmitteln geprägt ist;
- regelmäßige Besuche beim Zahnarzt.
„Schrubben“ mit System Etwa um den sechsten Lebensmonat herum zeigt sich im Babymund meist das erste Zähnchen. Dann ist der Zeitpunkt gekommen, mit der Mundhygiene zu beginnen. Zahnärzte empfehlen, dem Kind von nun an die Zähne täglich zu putzen – natürlich immer mit einer für den kleinen Mund geeigneten Zahnbürste mit kleinem Bürstenkopf und weichen Kunststoffborsten. Im Kleinkindalter ist der Nachwuchs meist neugierig und möchte seine Zähne deshalb gerne selbst putzen. Tipp: Raten Sie Eltern dann zum Kauf einer hochwertigen, altersgerechten Kleinkinderzahnbürste mit stabilem, dickem Griff, den das Kind mit der Faust fest umschließen kann.
Natürlich sollten Eltern den experimentierfreudigen Sprössling ruhig alleine mit der Bürste im Mund hantieren lassen, wichtig jedoch, dass die Großen noch bis ins Schulalter hinein immer gründlich nachputzen, damit der Zahnbelag auch wirklich entfernt wird. Im Kindergartenalter lernen Kinder dann das systematische Zähneputzen, häufig nach der etablierten KAI-Methode. Bei dieser Prozedur werden zunächst die Kauflächen durch Hin- und Herbewegen gesäubert, anschließend die Außenflächen kreisend gebürstet und zum Schluss die Innenflächen durch Ausfegen gereinigt. Können Kinder mit der Handzahnbürste schon recht geschickt umgehen, kann auch ein elektrisches Modell zum Einsatz kommen. Zu den sinnvollen „Handwerkszeugen“ für ältere Kinder und Jugendliche gehört auch Zahnseide.
Schützende Fluoride Die Spurenelemente, da sind sich Experten einig, sind zur Kariesprophylaxe unverzichtbar. Denn zum einen beschleunigen sie die Wiedereinlagerung von Mineralien in den Zahnschmelz (Remineralisation) und zum anderen verbessern sie die Säureresistenz des Zahnschmelzes. Damit verhindern Fluoride die Demineralisation.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Kinder mit Fluoriden zu versorgen. Welche in den ersten Lebensjahren die ideale ist, darüber herrscht jedoch nach wie vor Uneinigkeit zwischen den zahnärztlichen und den kinderärztlichen Fachgesellschaften. Weil Wissenschaftler mittlerweile herausgefunden haben, dass Fluoride vor allem durch direkten Kontakt mit der Schmelzoberfläche der Zähne wirken, empfehlen Zahnärzte heute vom Babyalter an die lokale Prophylaxe.
Das bedeutet: Vom Durchbruch des ersten Milchzahns bis zum Ende des zweiten Lebensjahres sollte einmal täglich eine erbsengroße Menge Kinderzahnpasta mit einem Fluoridgehalt von 0,05 Prozent (500 ppm Fluorid) auf die Zahnbürste kommen, zwischen dem zweiten und dem sechsten Geburtstag dann täglich zweimal. Ab dem Schuleintritt sollten Kinder auf eine Erwachsenenzahncreme mit einem Fluoridgehalt von 0,1 bis 0,15 Prozent (1000 bis 1500 ppm Fluorid) umsteigen. Zusätzlich wird Familien empfohlen, fluoridhaltiges Speisesalz im Haushalt zu verwenden.
Abweichend davon raten die Fachgesellschaften der Kinderärzte bis zum Alter von drei Jahren zur Einnahme von Fluoridtabletten oder -tropfen und zur Zahnpflege ohne bzw. mit fluoridfreier Zahnpasta. Erst ab dem dritten Geburtstag, wenn sichergestellt ist, dass der Nachwuchs die Zahncreme ausspucken kann und nicht mehr verschluckt, sollte zweimal täglich fluoridhaltige Kinderzahnpasta auf die Bürste kommen.
Für Sie als PTA wichtig zu wissen: Um Überdosierungen zu vermeiden, sollten Fluoridtabletten und fluoridhaltige Kinderzahncreme in den ersten Lebensjahren nicht gleichzeitig eingesetzt werden. Nimmt ein Kind auf Anraten des Kinderarztes Fluoridtabletten ein, können Sie eine fluoridfreie Kinderzahncreme empfehlen. Raten Sie Eltern auf jeden Fall zu einer Fluoridanamnese durch den Zahn- oder Kinderarzt, um einer Über- bzw. Unterversorgung mit dem wichtigen Spurenelement entgegenzuwirken.
Ab dem Schulalter ist es zu Hause zusätzlich möglich, einmal wöchentlich ein hochdosiertes Fluoridgel oder mehrmals wöchentlich eine fluoridhaltige Mundspüllösung einzusetzen. Ob diese Maßnahmen im Einzelfall sinnvoll bzw. erforderlich sind, sollte der Zahnarzt entscheiden. Er hat bei hohem Kariesrisiko außerdem die Möglichkeit, in der Praxis spezielle Fluoridlacke oder -lösungen aufzutragen.
Essen mit Köpfchen Zur Kariesprophylaxe im Kindesalter gehört auch die richtige Ernährung. Unumstritten ist Muttermilch die beste Nahrung für Säuglinge. Positiver Nebeneffekt: Durch das Saugen an der Brust werden Kiefer, Lippen und Zunge gekräftigt. Wird das Baby mit fertiger Säuglingsmilch aus der Flasche gefüttert, so gilt: Die Saugerflasche nie zum Nuckeln oder zur Beruhigung geben oder dem Kind gar zur Selbstbedienung überlassen. Insbesondere süße Tees, Obstsäfte und andere zuckerhaltige Getränke aus dem Fläschchen greifen den Zahnschmelz an. Bekannt ist mittlerweile, dass vor allem „Dauernuckeln“ zu Zahnschäden führt. Rechtzeitig sollten Eltern ihr Baby vom Fläschchen entwöhnen. Schnabeltassen sind kurzzeitig gute Trinklernhilfen. Doch mit etwa einem Jahr sollte das Kind gelernt haben, aus Tasse und Becher zu trinken.
Zurückhaltung ist in jedem Alter mit zuckerhaltigen Lebensmitteln angesagt, wobei ein komplettes Süßigkeitenverbot für Kinder jenseits des Kleinkindalters sicherlich realitätsfremd wäre. Experten raten, dass Kinder nicht über den Tag verteilt immer wieder naschen, sondern lieber nur einmal täglich Süßes verzehren und anschließend die Zähne gründlich putzen sollten.
Auf zum Zahnarzt Eine regelmäßige zahnärztliche Betreuung ist vom „Milchzahnalter“ an wichtig, um die Zähne möglichst lebenslang gesund zu halten. Die Deutsche Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde empfiehlt Eltern, noch vor dem ersten Geburtstag mit dem Nachwuchs zu einem ersten Beratungsgespräch zum Zahnarzt zu gehen. Ziel der ersten Kontrolltermine ist es auch, das Kind angstfrei mit der Zahnarztpraxis vertraut zu machen und die Eltern über wichtige Prophylaxemaßnahmen zu informieren. Ab dem Schulalter hat dann die Gesunderhaltung der bleibenden Zähne absolute Priorität.
Tipps für SchulkinderFissurenversiegelung Nach dem Durchbruch der ersten bleibenden Backenzähne hat der Zahnarzt die Möglichkeit, eine Fissurenversiegelung vorzunehmen. Bei dieser schmerzfreien Prozedur werden die feinen Rillen und Furchen (Fissuren) der Molaren mit einer dünnflüssigen Kunststoffmasse gefüllt, die anschließend gehärtet wird. Die Versiegelung schützt Kinder wirksam vor Fissurenkaries. Die Behandlungskosten werden von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen.
Feste Zahnspangen Kinder mit festsitzenden kieferorthopädischen Apparaturen müssen ihre Zähne besonders intensiv pflegen, denn vor allem an den Rändern von Brackets und Bändern setzt sich Zahnbelag gerne fest. Neben Zahnbürste und Zahnpasta sollten Kinder mit festen Zahnspangen auch regelmäßig zu Interdentalbürsten und nach Rücksprache mit dem Zahnarzt oder Kieferorthopäden auch einmal wöchentlich zu einem hochdosierten Fluoridgel greifen.
Kaugummis Sie sind vielen Eltern unsympathisch, aber besser als ihr Ruf. Das trifft zumindest auf zuckerfreie Zahnpflegekaugummis zu, die häufig den Zuckeraustauschstoff Xylit enthalten, der sich zur Kariesprophylaxe bewährt hat. Beim Kauen wird der Speichelfluss angeregt, der schädliche Säuren neutralisiert und die Remineralisation fördert. Wenn keine Möglichkeit zum Zähneputzen besteht, sind Zahnpflegekaugummis durchaus eine gute Sache.
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 03/11 ab Seite 60.
Andrea Neuen-Biesold, Freie Journalistin