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Ernährung

IST „URMILCH“ DIE BESSERE MILCH?

Es leuchtet ein neuer Stern am Foodie-Himmel: A2-Milch soll angeblich gesünder als herkömmliche Milch sein. Doch was ist das eigentlich, diese neue „Urmilch“, die auch laktoseintolerante Menschen vertragen sollen?

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Die Milch hat ihr gutes Image verloren. Wurde früher noch mit dem Slogan „Milch macht müde Männer munter“ für ein gesundes, vollwertiges Nahrungsmittel geworben, hat man heute zu viele Kühe in vollgestopften Ställen vor Augen, die noch nie eine grüne Weide gesehen haben und alle zwei Jahre ein Kälbchen bekommen müssen, um dann die Milch zu geben, die den Bauern zu viel zu niedrigen Preisen abgekauft wird.

Das Problem mit der Laktose Und dann sind da noch die vielen Laktoseintoleranten. Die mit Blähungen und Durchfall auf den Genuss des weißen Goldes reagieren. Milch soll viele ungesunde Sachen enthalten, unter anderem Wachstumshormone, und sie soll Krankheiten begünstigen wie Diabetes, Arthrose und Übergewicht. Bas Kast rät in seinem Bestseller „Der Ernährungskompass“ gänzlich davon ab, sie zu trinken und empfiehlt lieber Hafer- oder Mandelmilch. Doch nun soll es etwas geben, das genauso schmeckt, genauso aussieht wie das, was bisher in den Geschäften verkauft wurde: A2-Milch. Sie wird von einzelnen Bauernhöfen direkt angeboten (und auch von einem großen Internet-Kaufhaus, das sie allerdings importieren muss) und ist hierzulande noch ein Nischenprodukt. Ganz anders in Neuseeland, Großbritannien, den USA und China: Dort ist A2-Milch in jedem Supermarkt zu finden.

Histidin contra Prolin Milch besteht aus Wasser, Proteinen, Fetten, Zucker und Vitaminen. Bei den Proteinen handelt es sich großenteils um Casein, eines davon ist Beta-Casein, das wiederum aus 209 Aminosäuren zusammengesetzt ist. Während bei A1-, also der herkömmlichen Milch – an Stelle 67 der Molekülkette Histidin sitzt, hat A2 hier Prolin vorzuweisen. In der Folge verhalten sich A1- und A2-Milch bei der Verdauung unterschiedlich: Das Protein mit Histidin an Position 67 kann nämlich nicht vollständig verwertet werden, es entsteht ein Abbauprodukt namens Beta-Casomorphin-7 (BCM7). Dieses soll im Körper Stoffwechselprodukte beeinflussen. Das Protein mit Prolin hingegen macht dem Darm keine Probleme: Es wird einfach vollständig auseinandergebaut und verdaut.

Ursprünglich gab es nur das, was heute Urmilch heißt. Bevor der moderne Mensch Hochleistungskühe züchtete, die ein Vielfaches der üblichen Menge an Milch geben, waren fast alle Tiere A2-Genträger. Doch gerade die in Deutschland üblichen Holstein-Kühe und auch das so genannte Fleckvieh tragen lediglich zu 36 Prozent dieses seltene Erbgut, der Rest ist A1. Anders sieht das bei den braunen Jersey-Kühen, den amerikanischen Brown Swiss und den braun-weißen Guernsey-Kühen aus: Dort sind fast alle A2-Träger. Falls sich aus der A2-Milch ein neuer Hype entwickeln sollte, müssten diese Rassen nach Deutschland importiert oder bestehende auf die alte Mutation rückgezüchtet werden, was zunächst zwei Drittel der deutschen Zuchtbullen arbeitslos machen würde.

Uneinheitliches Studienbild Zurzeit wird mit Hochdruck an der Auswertung von Cochrane-Studien gearbeitet, die die Wirkweise von A2-Milch auf den menschlichen Organismus untersuchen. Leider fallen diese sehr uneinheitlich aus, unter anderem deshalb, weil die entscheidenden Parameter zuweilen gar nicht getestet wurden – zum Beispiel den Einfluss auf bestimmte Stoffwechselgrößen beziehungsweise Krankheitsbilder. Und so können die Wissenschaftler auch (noch) keine Empfehlung aussprechen. „Wir können auf Basis der wissenschaftlichen Fakten keine Empfehlung für A2-Milch geben“, konstatiert Christine Röger vom Kompetenzzentrum für Ernährung im bayrischen Freising.

Auch das Bundeszentrum für Ernährung spricht der A2-Milch keinen gesundheitlichen Mehrwert zu. Beide stellen fest, dass der Laktosegehalt bei beiden Milchsorten genau gleich ist, auch der Milchzucker-Gehalt stimme überein. Insofern könne keine Rede davon sein, dass sie für laktoseintolerante Menschen besser verträglich sei. Die Cochrane-Wissenschaftler fanden zudem ein geringeres Diabetes-Risiko für Menschen heraus, die herkömmliche Milch tranken: Die BCM7-Peptide hemmen nämlich die Zuckeraufnahme aus der Nahrung ins Blut, sodass der Blutzuckerspiegel nicht so stark ansteigt wie nach dem Genuss der A2-Milch. Manche Experten meinen auch, dass sich der menschliche Organismus im Laufe der Evolution besser an die A1-Variante angepasst hat als an die vermeintlich ursprünglichere.

Vielleicht ein neuer Hype Doch die neue Milch hat ihre Anhänger, und das Internet schäumt vor Berichten, die der weißen Emulsion besondere Heilkräfte zusprechen. Wenn das so bleibt, wird sich der Milchviehbestand in Deutschland ändern, denn die niedrigen Preise der Molkereien machen eine effiziente Bewirtschaftung für viele Landwirte kaum noch möglich. „Das könnte ein nächster Ernährungshype werden“, sagt Christine Röger. Übrigens: Auch Schafe, Ziegen und das indische Rind sind Träger des speziellen A2-Aminosäurenbausteins. Wer ganz sichergehen will, dass er auch Urmilch trinkt, sollte sich also Milch dieser Tiere besorgen.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 02/2020 ab Seite 70.

Alexandra Regner, PTA und Journalistin

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