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Medizinische Fachgebiete

GENDERMEDIZIN

Männer und Frauen unterscheiden sich in ihrem Krankheitsverlauf, weisen unterschiedliche Verhaltensmuster auf und reagieren auf die Umwelt geschlechtsspezifisch. Die Behandlung sollte daher in einigen Fällen geschlechtsabhängig variieren.

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Nicht nur beim Herzinfarkt, auch bei vielen anderen Erkrankungen zeigen Männer und Frauen unterschiedliche Beschwerden und reagieren anders auf Therapien. Beispielsweise bleiben Depressionen bei Männern oft unerkannt, da sie nicht unbedingt antriebslos werden, die psychische Erkrankung kann sich in Wut oder Aggressivität äußern. Außerdem unterliegen die Geschlechter unterschiedlichen Risikofaktoren und weisen häufig heterogene Behandlungsrisiken auf.

Standard: Mann Dennoch betrachtete man in der Heilkunde, zumindest in älteren Lehrbüchern, nur ein „männliches Neutrum“ und es wurde kaum zwischen Männern und Frauen unterschieden – lediglich durch die Gynäkologie grenzte sich das weibliche vom männlichen Geschlecht ab. Lange Zeit wurde in der Medizin so getan, als würden Krankheiten geschlechtsneutral sein. Diese Ansicht hat jedoch Nachteile für beide Seiten: eine verspätete Herzdiagnostik bei Frauen oder das Übersehen von „Frauenkrankheiten“ bei Männern wie beispielsweise Osteoporose. Medikamente wurden bis in die 1990er Jahre hauptsächlich in klinischen Studien an Männern getestet, da die männliche Personengruppe von hormonellen Schwankungen durch Monatszyklus oder Menopause verschont bleibt.

Außerdem wurden Frauen seit den Sechzigerjahren von klinischen Arzneimittelstudien ausgeschlossen, weil etliche Kinder mit Fehlbildungen auf die Welt kamen, nachdem werdende Mütter in der Schwangerschaft das Schlaf-und Beruhigungsmittel Thalidomid eingenommen hatten. Nach der Zulassung von bestimmten Wirkstoffen kam es zu unerwünschten Wirkungen bei Frauen, die in den Untersuchungen an Männern nicht aufgetreten waren. Anfang der 1990er Jahre häuften sich daher Meldungen, dass verschiedene Substanzen bei Patientinnen einen anderen Effekt hätten als bei Patienten. 1994 wurden in den USA daher medizinische Richtlinien publiziert, in denen gefordert wurde, dass klinische Untersuchungen auch mit weiblichen Versuchspersonen durchgeführt werden sollten.

Warum wirken Arzneimittel geschlechtsspezifisch? Der Grund dafür, dass Männer und Frauen manche Wirkstoffe unterschiedlich verstoffwechseln, liegt in einem schnelleren Abbau einiger Substanzen durch die männliche Leber. Darüber hinaus gibt es Abweichungen in der Wirksamkeit von Arzneimitteln, zum Beispiel spricht der weibliche Organismus stärker auf das Schmerzmittel Morphin an als der männliche Körper. Auch der Magen-Darm-Trakt arbeitet aufgrund der ungleichen Enzymaktivität bei Männern und Frauen unterschiedlich schnell. Manche Medikamente werden bei Männern, andere bei Frauen rascher abgebaut – Zytostatika werden beispielsweise von Frauen langsamer ausgeschieden. Da der Fettgehalt im weiblichen Organismus höher ist, lagern sich einzelne Wirkstoffe ab und verbleiben länger im Organismus.

Herzen schlagen anders Die Gendermedizin erhielt erstmals im Zusammenhang mit Herzerkrankungen bei Frauen ihre Aufmerksamkeit. Die US-amerikanischen Ärztinnen Elizabeth Barrett Connor und Bernadine Healy fanden zu Beginn der neunziger Jahre heraus, dass männliche und weibliche Herzen auf unterschiedliche Weise erkranken. Herzinfarkte machen sich beim weiblichen Geschlecht durch andere Alarmzeichen bemerkbar, die Beschwerden sind bei Frauen eher unspezifisch. Betroffene leiden unter starker Kurzatmigkeit, Übelkeit, Erbrechen oder unter Schmerzen im Oberbauch.

Aufgrund der abweichenden Symptomatik werden Herzerkrankungen bei weiblichen Patienten gelegentlich zu spät erkannt oder falsch diagnostiziert. Eine weitere Besonderheit betrifft die Symptome im Brustbereich: Statt über heftige Schmerzen klagen Frauen eher über ein Druck- und Engegefühl. Rauchen und Stress gelten für Frauen als besonders schädlich: Raucherinnen haben ein um 25 Prozent erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Vergleich zu Rauchern, außerdem kann Stress für das Auftreten sowie für einen ungünstigen Verlauf eines Herzinfarktes verantwortlich sein.

Das Fachgebiet der Gendermedizin beachtet somit geschlechtsspezifische Besonderheiten und geht der Frage nach, welche Bedeutung das Geschlecht für Gesundheit, Prävention, Behandlung oder Reha hat. Die Bezeichnung „geschlechtsspezifisch“ schließt zum einen die Komponente des biologischen Geschlechts, zum anderen die soziokulturelle Dimension mit ein. Beide Geschlechter profitieren, wenn man ihre Unterschiede wahrnimmt und Therapien so- wie Präventionsangebote auf sie abstimmt. Dafür setzt sich die Deutsche Gesellschaft für Geschlechtsspezifische Medizin e.V. (DGesGM) ein, zudem unterstützt sie die Geschlechterforschung sowie die Umsetzung der Forschungsergebnisse in die medizinische Praxis.

Weitere Unterschiede Geschlechtsspezifische Differenzen gibt es auch bei Diabetes, Alzheimer, Osteoporose, Schlaganfällen, in der Psychiatrie und in der Hirnforschung. Diabetikerinnen sind in der Regel schon zu Beginn der Erkrankung in einer ungünstigeren Verfassung und weisen schlechtere Entzündungs- und Blutfettwerte auf. Zusätzlich sind an Diabetes erkrankte Frauen stärker Herzinfarkt-gefährdet als Männer mit einer entsprechenden Diagnose, außerdem erleiden sie eher einen Schlaganfall, eine Unterzuckerung oder eine Depression. Generell zeigen Frauen vermehrt Entzündungsreaktionen, weil die Immunantwort bei ihnen stärker ausfällt als beim männlichen Geschlecht.

Auch Schmerzen und Juckreiz werden abweichend empfunden: Männern juckt es meist an den Armen, Frauen an den Beinen. Studien aus der Neuropsychologie deuten darauf hin, dass die Leistungsfähigkeit von Männern nach einem Schlaganfall deutlicher abnahm als bei Frauen: Männer mit linkshemisphärischer Schädigung haben oft sprachliche Probleme, während die rechtshemisphärische Beteiligung das räumliche Denken einschränkt. Zudem vernachlässigt die „männliche“ Medizin häufig psychische Aspekte wie die postoperative Betreuung von Prostatakrebs im Vergleich zur psychologischen Brustkrebsnachsorge bei Frauen.

Gender Score Frauen leben durchschnittlich länger als Männer, obwohl sie unter einer höheren Komorbidität leiden und somit weniger Jahre gesund sind. Dies ist nicht nur auf biologische Faktoren, sondern ebenso auf Lebensstil-, Umwelt- und psychosoziale Bedingungen zurückzuführen. Wissenschaftler arbeiten daran, die Komponente „Gender“ messbar zu machen. Ihr Ziel ist es, einen Score zu entwickeln, welcher der individuellen Risikoabschätzung dient. Damit ließen sich Erkrankungen durch präventive Maßnahmen verhindern, beispielsweise könnte die Wahrscheinlichkeit eines Reinfarkts nach einem vorausgegangenen Herzinfarkt ermittelt werden.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 11/19 ab Seite 106.

Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie und Fachjournalistin

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