Welch Ein Name
„ER HATTE DIESES LAMBARENE GESCHAFFEN“
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Es ist ist das Jahr, in dem Mann und Frau kirchlich getraut werden konnten, aber nicht mehr mussten, denn als rechtlich verbindlich galt nun die Ziviltrauung – 1875. Genau- so gut konnte man auch nach Recht und Gesetz wieder geschieden werden. Ob das dem Vater von Albert Schweitzer ein Dorn im Auge war, als sein zweites Kind geboren wur- de? Denn er war immerhin Pfarrer im oberelsässischen Kayserberg, ein Ort, der gerade wieder einmal zum Deutschen Reich gehörte. Kurz vorher war man noch französisch – der kleine Albert lernt beide Sprachen fließend sprechen und weiß noch nicht, dass er diese Gabe im späteren Leben noch gut gebrauchen kann.
Reichlich Talent Überhaupt, seine Gaben: Das Schicksal hat sie reichlich über ihm ausgeschüttet. Der junge Schweitzer liebt die Musik, vor allem die kirchliche und hier besonders das Orgelspiel. Nach dem Abitur studiert er erst einmal Theologie und Philosophie in Straßburg, nimmt daneben in Paris Orgel- und Klavierunterricht bei namhaften Musikern. Fünf Jahre nach Studienbeginn legt er sein erstes theologisches Examen ab, ein Jahr später folgt schon die Dissertation über Kant, zwei Jahre später eine über die Historie der Abendmahlsauffassungen. Schweitzer ist nun zweifacher Doktor, doch er legt noch einen drauf: Ein Jahr nach der letzten Dissertation, 1902, habilitiert er sich in evangelischer Theologie und wird Dozent für Theologie an der Universität Straßburg.
Was manchen Menschen ein ganzes Leben lang reichen würde, ist bei Albert Schweitzer erst der Anfang. Er hat sich geschworen (und es in seinen Lebenserinnerungen auch beschrieben), dass er nach seinem 30. Geburtstag „einen Beruf im Dienste der Menschheit“ aufnehmen wird. Bei der Kongomission brauchen sie noch Personal und der frischgebackene Dozent beschließt, dorthin zu gehen. Er bewirbt sich also bei der zuständigen Missionsgesellschaft, aber die finden seine theologische Haltung allzu liberal und zögern, ihn einzustellen.
Fachwechsel Doch das macht man nicht mit Albert Schweitzer. Mit der ihm eigenen Energie schreibt er den Herren von der Afrikamission, dass er gedenke, als Arzt und nicht als Missionar auf den schwarzen Kontinent zu wechseln. Dazu muss Schweitzer noch mal eben Medizin studieren, was bis dahin nicht vorgekommen ist: Ein Dozent, der sich in ein völlig neues Fach einarbeiten will? Erst eine Sondererlaubnis von höchster Regierungsstelle macht es möglich, dass sich der knapp 30-Jährige einschreiben darf: Der Doktor der Philosophie und der Theologie legt (natürlich) nur fünf Jahre später ein glänzendes medizinisches Staatsexamen ab, erhält zwei Jahre später die Approbation und ein Jahr später die Doktorwürde. Da hat ihn die Universität Straßburg gerade zum Professor für Philosophie ernannt. Doch es nützt der Uni nichts, sie hatte sich Schweitzers Afrika-Plänen entgegengestellt und ihm keine Beurlaubung erteilt. Er verzichtet auf die Lehrtätigkeit und reist gemeinsam mit seiner Frau Helene nach Gabun. Den dritten Doktorgrad hat er gerade in der Tasche, seine junge Frau hat sich zur Krankenschwester ausbilden lassen – in der französischen Kolonie findet er das, was er immer gespürt und vorausgeahnt hat: seine Lebensaufgabe. 1913 beginnt das Wirken Albert Schweitzers in Afrika. Das Land wird ihn nie wieder loslassen.
Zitate
„Wer glaubt, ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich. Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht.“ „Mit zwanzig Jahren hat jeder das Gesicht, das Gott ihm gegeben hat, mit vierzig das Gesicht, das ihm das Leben gegeben hat, und mit sechzig das Gesicht, das er verdient.“ „Der moderne Mensch wird in einem Tätigkeitstaumel gehalten, damit er nicht zum Nachdenken über den Sinn seines Lebens und der Welt kommt.“ „Das Mitfühlen mit allen Geschöpfen ist es, was den Menschen erst wirklich zum Menschen macht.“
Die neue Ethik Doch zunächst macht dem Ehepaar der Erste Weltkrieg einen Strich durch die Rechnung. Von der französischen Armee festgenommen, unter Hausarrest gestellt und nach Bordeaux überführt, bleiben die Schweitzers bis 1918 interniert. Selbst hier, in dieser Situation, noch dazu körperlich ausgelaugt, entwickelt der Wissenschaftler das Fundament einer neuen Ethik. Die später schriftlich fertig gestellte Moraldiskussion „Ehrfurcht vor dem Leben“ enthält seinen meistzitierten Satz: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ Mit der konsequenten Umsetzung wird Albert Schweitzer übrigens später zum Vegetarier, was damals sehr ungewöhnlich war. „Meine Ansicht ist, dass wir, die für die Schonung der Tiere eintraten, ganz dem Fleischgenuss entsagen und auch gegen ihn reden. So mache ich es selber.“ schreibt er in seinen Erinnerungen. Wieder im Elsass zurück (jetzt ist es französisch), hält der Arzt und Philosoph Vorträge und Reden, spielt Orgelkonzerte – alles zu dem Zweck, Geld zu sammeln, so bald wie möglich nach Lambarene zurückzukehren und dort sein Urwaldhospital weiter aufzubauen. 1924 ist es soweit, und auch die Geburt der inzwischen fünfjährigen Tochter Rhena hält ihn nicht zurück – Frau und Kind bleiben erstmal zu Hause, denn Helene ist nicht ganz gesund.
Ludwig Philipp Albert Schweitzer
… wurde 1875 als Sohn eines Pfarrers im elsässischen Kayserberg geboren. Er erwarb den Doktorgrad in Theologie, Philosophie und Medizin, gründete in jahrelanger Missionsarbeit ein Hospital im afrikanischen Lambarene, das heute noch besteht. Schweitzer war außerdem ein begabter Orgelspieler, schrieb eine Monographie über Johann Sebastian Bach. Seine philosophischen Schriften beschäftigten sich immer wieder mit ethischen Fragen. Für die Darlegung „Ehrfurcht vor dem Leben“, die zum Pazifismus aufruft, erhielt er 1954 den Friedensnobelpreis. Neben zahlreichen anderen Ehrungen war er auch Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Schweitzer starb 1965 in Lambarene.
Der Patriarch Mit einem Hühnerstall, der zum Behandlungsraum umgebaut wird, fängt es an. Schweitzer achtete darauf, dass sein Spital unabhängig arbeiten konnte, und das sowohl wirtschaftlich, administrativ als auch versorgungstechnisch. Im Gemüsegarten gab es Nahrung, in selbstgebauten Pferchen wurden streng nach des Doktors „Ehrfurcht vor dem Leben“ auch Tiere behandelt. Seine Tochter Rhena wird später sagen: „Mein Vater kam mir immer wie ein Patriarch im Alten Testament vor, mit seiner Sippe von schwarzen und weißen Menschen. Und obwohl er unerbittlich sein konnte über die Art, in der er etwas getan haben wollte, nahm man das hin, denn er hatte dieses Lambarene geschaffen.“ Heute ist das von Albert Schweitzer erbaute Krankenhaus eine Spitalsiedlung mit über tausend Beschäftigten, die meisten aus Gabun.
Es wird getragen von einer Internationalen Stiftung und umfasst unter anderem allgemeinmedizinische und chirurgische Abteilungen sowie eine Kinder- und Geburtsklinik. Angegliedert sind außerdem eine Zahnklinik und ein Forschungslabor für Malaria. Das von Albert Schweitzer gegründete Lepradorf gibt es immer noch; es leben dort ehemalige Kranke mit ihren Angehörigen. Albert Schweitzer führt jedoch nicht nur dieses eine Leben. Er sieht sich immer auch als Philosoph, arbeitet beständig an seiner „Ethik“, nimmt Stellung zu Zivilisationsprozessen, zu Kriegstreiberei, zu religiösen Fragen und er propagiert den Pazifismus (wofür er 1954 den Friedensnobelpreis erhält). Er ist aber auch Musikwissenschaftler, schreibt eine heute noch gültige Bach-Monographie, übt sich weiterhin als Instrumentalist, wozu ihm in Lambarene auch ein aus tropenfestem Holz gebautes Klavier mit Orgelpedal verhilft. Die üblichen Orgeln in deutschen Kirchen missfallen ihm aus klanglichen Gründen: Und so entwirft der Unermüdliche kurzerhand einen neuen Klangkörper, der heute in der Straßburger Thomaskirche steht.
Auch für den Entwurf eines Geigenbogens, dessen veränderbare Spannung es möglich macht, mehrere Akkorde auf einmal zu spielen, liefert er die Zeichnungen. Das Universalgenie hat nicht nur Freunde. Rassismus wird ihm vorgeworfen und die Befürwortung des Kolonialismus. Gabun hat mittlerweile die Unabhängigkeit von Frankreich erlangt, doch Schweitzer kri- tisiert, dass es noch nicht dafür bereit sei. Und so seien die Afrikaner zwar seine Brüder, „jedoch seine jüngeren Brüder“. Ein Journalist wirft Schweitzer vor, dass er auch nach Jahrzehnten in Afrika ausschließlich europäische Krankenschwestern aus Europa einstellte.
„Wir leben in einem gefährlichen Zeitalter. Der Mensch beherrscht die Natur, bevor er gelernt hat, sich selbst zu beherrschen.“ Albert Schweitzer (1963)
Hochverehrt und betrauert Der weltberühmte und von den Eingeborenen hochverehrte Doktor stirbt 1965, da ist er neunzig Jahre alt. Erst ein Jahr zuvor hat er die Leitung des Spitals in andere Hände gegeben. Er wird in Lambarene neben seiner Frau beigesetzt. Drei Monate lang tanzen die Afrikaner an der Stelle seines Grabes Totentänze, beschreibt es sein ehemaliger Weggenosse, der Arzt Dr. Ary van Wijnen: „Sie wollten den Menschen im Jenseits zeigen, was für ein bedeutender Mann zu ihnen kommt. Totentänze dauern sonst kaum eine Woche.“ Und der SPIEGEL schreibt über den „Urwalddoktor“ kurz vor seinem Tod: „Er sieht aus wie ein naher Verwandter des lieben Gottes.“ Schweitzers Tochter Rhena heiratet nach dem Tod des Vaters einen in Lambarene tätigen Arzt, der zuvor eng mit dem Gründer zusammengearbeitet hat. Und eine von Schweitzers Enkelinnen, Christiane Engel, erbte dessen musikalisches Talent: Sie ist eine der weltweit besten Mozart-Klavierinterpretinnen.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 06/17 ab Seite 90.
Alexandra Regner, PTA und Redaktion