Eisenmangel ist mittlerweile in Deutschland stark verbreitet und äußert sich durch viele Symptome. © NatchaS / iStock / Getty Images Plus

Interview

EISENMANGEL – DAS CHAMÄLEON IN DER MEDIZIN

Eisen ist das häufigste Spurenelement im menschlichen Körper und hat viele wichtige Funktionen. Was aber kann man tun, wenn man unter Eisenmangel leidet und was sind die Symptome? Was müssen Vegetarier und Veganer beachten? Diese und noch weitere Fragen zu diesem Thema hat Gynäkologin Prof. Dr. Dr. Elisabeth Merkle in einem Interview beantwortet.

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Der Interviewpartner: Eisen gilt als der ‚Fitmacher‘ unter den Spurenelementen. Über welche physiologischen Mechanismen wirkt Eisen für unseren Organismus als Quelle für mehr Schwung?

Prof. Dr. Dr. Elisabeth Merkle: Eisen ist unter den Spurenelementen der Fitmacher überhaupt. Es ist in vielfältige physiologische Prozesse involviert, die der Energiegewinnung des Organismus dienen. Im Körper ist Eisen größtenteils an Hämoglobin gebunden, das ca. 35 % der Erythrozyten ausmacht. Hämoglobin ist von elementarer Bedeutung für den Sauerstofftransport aus der Lunge in die Zellen. Es ist aber auch zuständig für den Abtransport von Kohlendioxid zurück zur Lunge, wo es abgeatmet werden kann. Daneben spielt Eisen auf zellulärer Ebene eine wichtige Rolle für die Energiegewinnung, z.B. bei der Produktion von Carnitin. Carnitin fördert die Aufnahme von Fettsäuren aus der Nahrung in die Zellen, wodurch diesen mehr Energie zur Verfügung steht.

5-10 % der Europäer leiden an Eisenmangel, bei jungen Frauen ist der Anteil sogar doppelt so hoch.1 Wieso kommt es bei diesem Spurenelement so häufig zu einer Unterversorgung? Und welche Personen müssen besonders auf ihren Eisenstatus achten?

Eisenmangel ist als echte Volkskrankheit zu bezeichnen. Da ein Eisenmangel sich durch vielfältige unspezifische Symptome äußern kann, bleibt er jedoch oft unerkannt. Häufige Ursachen für einen Mangel sind eine verminderte Resorption, ein erhöhter Bedarf oder Eisenverluste - wobei mehrere Ursachen gleichzeitig zum Tragen kommen können. Ein wichtiger Aspekt ist hier die Ernährung, da der Organismus ja auf eine Eisenzufuhr von außen angewiesen ist. Der wichtigste Eisenlieferant unter den Lebensmitteln ist Fleisch. Daher besteht für Vegetarier und Veganer ein besonderes Risiko zu wenig Eisen zu sich zu nehmen.

Auch andere Personengruppen haben ein erhöhtes Risiko für eine verminderte Eisenaufnahme, z.B. ältere Menschen, Personen mit Mangelernährung, Appetit- oder Essstörungen. Davon zu differenzieren sind Personen, die einen erhöhten Eisenbedarf haben. So benötigen Schwangere mehr Eisen für die Zell- und Blutbildung des Kindes. Der ausgeprägte Mehrbedarf von Schwangeren und Stillenden lässt sich allein über die Ernährung nicht auffangen. Einen erhöhten Eisenbedarf haben auch Ausdauersportler oder Menschen mit chronischen Entzündungen, z.B. Rheumatiker oder Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis Ulcerosa. Eine weitere Ursache für die Etablierung eines Eisenmangels können Eisenverluste sein. Regelmäßige Eisenverluste erleiden alle Frauen im fertilen Alter durch die Menstruation. Besonders betroffen sind Frauen mit Myomen (ca. 60 %), von denen ein Großteil mit verlängerten oder verstärkten Blutungen zu tun hat. Auch Patienten, die operiert wurden und hierdurch einen Blutverlust erleiden, ebenso wie solche mit latenten Sickerblutungen im Magen-Darm-Trakt, die selbstverständlich medizinisch abgeklärt werden müssen, können eine Eisenmangelanämie haben. Zu bedenken ist, dass auch mehrere Faktoren zusammenkommen können.

Gibt es weitere Nährstoffe, auf deren Zufuhr Vegetarier und Veganer besonders achten müssen?

Grundsätzlich gilt: All jene, die wenig oder keine tierischen Produkte zu sich nehmen, müssen gezielt auf ihre Eisenversorgung achten. Denn Fleisch ist unter den Lebensmitteln der wichtigste Eisenlieferant. Sehr wichtig ist es jedoch auch, bei fleischarmer oder fleischloser Ernährung die ausreichende Vitaminversorgung im Blick zu behalten – im speziellen die Versorgung mit Vitamin B12. Unser Körper kann Vitamin B12 nicht selbst bilden und ist daher auf die Zufuhr von außen angewiesen. Es ist allerdings in pflanzlichen Produkten nicht enthalten, sondern rein tierischen Ursprungs. Deshalb muss Vitamin B12 bei Verzicht auf tierische Produkte unbedingt gezielt zugeführt werden. Denn der Mangel führt auf Dauer zu starken neurologischen Ausfällen. Wichtig ist auch hier, auf eine moderate Dosierung zu achten.

Was sind typische Symptome eines Eisenmangels und wie erfolgt die Diagnostik? Welche klinischen Referenzwerte spielen hier in der Praxis eine Rolle?

Eisenmangel ist das Chamäleon in der Medizin. Alles und nichts kann auf einen Eisenmangel hindeuten. Für den Betroffenen selbst ist es daher häufig schwierig zu erkennen, dass er unter einem Eisenmangel leidet. Die Symptome reichen von Müdigkeit und erhöhtem Schlafbedürfnis über Leistungsverminderung, Konzentrationsstörungen und Vergesslichkeit bis hin zu depressiven Verstimmungen, Infektanfälligkeit, erhöhter Kälteempfindlichkeit, blasser Haut, Haarausfall oder brüchigen Haaren und Nägeln. Symptome, die die Lebensqualität ganz erheblich beeinträchtigen. Die Diagnostik einer Eisenmangelanämie ist relativ einfach. Neben einer ausführlichen Anamnese ist die Bestimmung des Blutbilds entscheidend. Der bedeutendste Blutparameter ist das Hämoglobin als Eisenträger. Es ist jedoch sinnvoll, zusätzlich immer auch den Eisenspeicherwert Ferritin zu bestimmen. Denn bevor der Hämoglobinwert sinkt, bedient sich der Körper aus dem Speichereisen. Zur Beurteilung des Eisenstatus hat die WHO Hämoglobin-Grenzwerte definiert. Diese liegen für Männer bei 13 g/dl, für Frauen bei 12 g/dl, in der Schwangerschaft allerdings niedriger. Durch das vergrößerte Blutvolumen und den erhöhten Eisenbedarf kommt es in der Schwangerschaft per se zu einer Verdünnungsanämie. Daher liegen die Grenzwerte im ersten und dritten Trimenon bei 11 g/dl, im zweiten Trimenon gelten 10,5 g/dl als angestrebter Mindestwert.

In der oralen Eisentherapie ist die tägliche Gabe von hochdosiertem Eisen in fester Form schulmedizinischer Standard. Welche Erfahrungen haben Sie bei Ihren Patienten gemacht, insbesondere hinsichtlich Verträglichkeit und Compliance?

Es ist bedauerlich, dass die hochdosierte tägliche Einmalgabe nach wie vor als schulmedizinischer Standard gilt. Die Compliance bei dieser Form der oralen Eisentherapie ist bekanntermaßen schlecht – und das aus zwei Gründen. Da ist einerseits die psychologische Hürde zu überwinden. Die wenigsten Patienten sind bereit wegen unspezifischer Beschwerden hochdosierte Medikamente einzunehmen – und bei Schwangeren ist die Ablehnung besonders groß. Darüber hinaus sind viele Menschen nicht bereit, die potenziellen Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen, die mit der hochdosierten oralen Eisengabe einhergehen können. Die Nebenwirkungen betreffen hauptsächlich den Magen-Darm-Trakt und reichen von Verstopfung – auch im Wechsel mit Durchfällen – über Bauchkrämpfe oder Übelkeit bis hin zu Sodbrennen. Zwar sind diese Beschwerden aus medizinischer Sicht nicht dramatisch, aber für viele Menschen Grund genug, die Therapie abzubrechen oder von vorneherein abzulehnen.

‚Weniger ist mehr‘ ist derzeit ein starkes gesellschaftliches Thema. Welche Vorteile bietet eine Niedrig-Eisentherapie aus medizinischer Sicht?

‚Weniger ist mehr‘ ist zu Recht zu einem großen gesellschaftlichen Thema avanciert. Der Trend geht zurück zur Natur und dazu, dem Körper nur das zu geben, was ihm guttut. Wer um den medizinisch unstrittigen negativen Feedback-Mechanismus im Eisenstoffwechsel weiß, für den gibt es keinen Grund, dem Körper hochdosiert Eisen zuzuführen. Bei der Niedrig-Eisen-Therapie erhält der Körper Eisendosen, die er gut verstoffwechseln kann. Das entspricht auch der Erwartung all jener Menschen, die ihren Körper nicht unnötig belasten wollen.

Bei diagnostizierter Eisenmangelanämie rückt der Einsatz des Glycoproteins Lactoferrin zunehmend in den Fokus des wissenschaftlichen Interesses. Welche Stoffwechselabläufe ermöglichen die Optimierung des Eisenstatus ohne unmittelbare Eisengabe?

Lactoferrin ist eine für den Eisenstoffwechsel äußerst interessante Substanz, denn es reduziert die Interleukin 6 assoziierte Hepcidin-Sekretion. Lactoferrin hemmt die Ausschüttung proinflammatorischer Enzyme und im Speziellen die des IL 6. Wenn ich IL 6 über Lactoferrin reduziere, vermindere ich die gekoppelte Hepcidin-Ausschüttung und kann so die Eisenaufnahme des Körpers positiv modulieren. Dies ist ein idealer Mechanismus, um z.B. bei einer Eisenmangelanämie die Eisenaufnahme aus der Nahrung zu steigern. Mitunter kann so auf eine Eisenmedikation verzichtet werden.

Welche Rolle spielt die Ernährung für den individuellen Energielevel? Welche Nahrungsmittel sind gute Eisenlieferanten?

In Fleisch ist Eisen in seiner zweiwertigen Form enthalten. Diese kann dreimal besser verwertet werden, als das dreiwertige Eisen aus pflanzlichen Lebensmitteln. Aber auch wenn tierische Produkte wie Fleisch und Eier die besten Eisenlieferanten sind, gibt es auch pflanzliche Nahrungsmittel, die relativ viel Eisen enthalten. Zu den pflanzlichen Eisenlieferanten zählen insbesondere Hülsenfrüchte wie Linsen oder Erbsen, Sojamilch oder Nüsse.

Warum müssen Ausdauersportler besonders auf ihren Eisenspiegel achten?

Ausdauersport ist gesund – birgt aber eben auch Risiken. Ausdauersportler haben aus verschiedenen Gründen ein erhöhtes Risiko für einen Eisenmangel. Einerseits haben sie trainingsbedingt einen erhöhten Bedarf. Da sich das Blutvolumen um 10 bis 20 Prozent erhöht, entwickeln sie beinahe automatisch eine Verdünnungsanämie. Durch die starke Beanspruchung der Muskulatur wird Eisen für das eisenhaltige Muskelprotein Myoglobin benötigt. Hinzu kommt, dass Ausdauersportler nicht immer genügend Eisen über die Nahrung aufnehmen. Denn auf dem Ernährungsplan stehen meist die Kohlenhydrate als schnelle Energielieferanten im Fokus. Fleisch hingegen spielt hier eine untergeordnete Rolle.

Im Sinne einer individuellen Eisenoptimierung: Welche Art der Substitution würden Sie welchen Patienten empfehlen?

Ich empfehle grundsätzlich niedrig dosiertes Eisen, da die Niedrig-Eisen-Therapie für die prozentuale Eisenaufnahme und die Verträglichkeit günstiger ist. Schwangeren und Stillenden empfehle ich, vorbeugend niedrig dosiertes Eisen zuzuführen, z.B. ein flüssiges Tonikum, das leicht einzunehmen ist und gut vertragen wird. Auch Vegetariern und Veganern empfehle ich bei Bedarf Eisen in niedriger Dosierung zuzuführen. Wichtig ist hier auch die Ergänzung von Vitamin B12. Schwangeren und Stillenden ebenso wie Frauen mit verstärkter oder verlängerter Menstruation empfehle ich auch Lactoferrin, da ich den Angriffspunkt über die Modulation der Eisenverwertung für günstig halte. Mit Lactoferrin lässt sich der negative Feedback-Mechanismus im Eisenstoffwechsel durchbrechen, so dass mehr Eisen vom Körper aufgenommen wird. Hier kann ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Mit Lactoferrin und gegebenenfalls zusätzlich niedrig dosiertem Eisen lassen sich auch bei erhöhtem Eisenbedarf sehr gut die Blutwerte und somit der Energielevel und das Allgemeinbefinden verbessern.

Weshalb müssen Menschen, die sich vegan oder vegetarisch ernähren, besonders auf ihre Eisen- und Vitamin B12-Versorgung achten?

Einerseits enthalten pflanzliche Lebensmittel weniger Eisen als Fleisch. Außerdem kann das zweiwertige Eisen aus tierischen Lebensmitteln dreimal besser verwertet werden als das dreiwertige Eisen pflanzlichen Ursprungs. Vegetarier und Veganer müssen daher immer darauf achten, ihre persönliche Eisenzufuhr über die Ernährung zu optimieren oder entsprechende Eisenpräparate einnehmen. Vitamin B12 ist rein tierischen Ursprungs und kann daher im Rahmen einer rein pflanzlichen Ernährung nicht aufgenommen werden. Fakt ist, dass Veganer ein Leben lang regelmäßig gezielt Vitamin B12 zuführen müssen – in moderater Dosis und auf keinen Fall hochdosiert – denn ein dauerhafter Vitamin B12-Mangel zieht erhebliche neurologische Funktionsausfälle nach sich.

Das Interview führte Bernd Stumm

1

flexikon.doccheck.com/de/Eisenmangel, abgerufen am 07.05.2019.

* Anm.: Floradix

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