Drogen
DIE HOCH POTENTE BILLIGDROGE
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Für drei, vier Euro Drogen kaufen und davon das ganze Wochenende berauscht sein – das verspricht Crystal Meth. Damit ist das Stimulans die perfekte Partydroge. Und tatsächlich ist Crystal Meth dabei, Ecstasy und Speed an der Spitze der Beliebtheitsskala abzulösen. So ist die Konsumentenzahl in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr drastisch gestiegen – und das sei erst der Anfang, so Drogenbeauftragte.
Lange Karriere Dabei ist die Geschichte der Droge schon alt. Der bekannteste deutsche Abhängige war Heinrich Böll. Aus den Schützengräben des zweiten Weltkrieges bat er seine Familie, ihm mehr Pervitin zu schicken. Dies war der Markenname eines Aufputschmittels auf Metamphetaminbasis, hergestellt von einer deutschen Firma und quasi der legale Vorläufer des Crystal Meth. Soldaten konsumierten Pervitin in unglaublichen Mengen, man bezeichnete es als „Panzerschokolade“.
Nach dem Krieg verschrieben Ärzte es als Stimmungsaufheller oder Appetitzügler. Die Temmler-Werke, die Pervitin produzierten, belieferten auch noch nach dem Bau der Mauer die Armeen in West- und Ostdeutschland. Während die Bundeswehr ihre Pervitinbestände jedoch in den 1970er-Jahren entsorgte, gehörte es für die Grenzsoldaten der NVA noch bis 1988 zur medizinischen Ausrüstung – erst dann wurde das Fertigarzneimittel vom Markt genommen.
In Deutschland gilt Metamphetamin heute als nicht verschreibungsfähiges Betäubungsmittel, der illegale Besitz ist strafbar. In den USA zählt die Substanz zu den Klasse-II-Drogen, sie wird medizinisch jedoch noch bei Narkolepsie und ADHS bei Erwachsenen eingesetzt.
Stark wirkendes Amphetamin Crystal Meth ist der umgangssprachliche Ausdruck für die Subs-
tanz N-Methylamphetamin, auch Methamphetamin genannt. Dabei handelt es sich um ein Aufputschmittel mit ähnlicher Wirkung wie Kokain oder Speed. Amphetamine sind Sympathomimetika. Sie wirken auf das vegetative Nervensystem, indem sie Neurotransmitter wie Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin nachahmen. Der Organismus gerät dadurch in eine klassische Stresssituation mit den typischen Symptomen: Der Blutdruck steigt an, man ist wach, empfindet weder Schmerzen noch Hunger oder Durst. Wenn Methamphetamin das Hirn flutet, fühlen die Konsumenten sich euphorisch und überlebensgroß.
Akute Gefährdung
Doch Crystal Meth ist nicht nur aufgrund seiner Langzeitwirkung gefährlich. Beim Konsum fehlen die Nebenwirkungen wie Herzrasen, Zittrigkeit und Übelkeit, die bei anderen Drogen die drohende Überdosierung ankündigen. Wie bei allen Aufputschmitteln kann es, wenn es zum Beispiel während eines durchtanzten Club-Wochenendes genommen wird, zu einem Kreislaufkollaps durch Überhitzung und Dehydrierung kommen. Die Wechselwirkung mit anderen Rauschmitteln kann fatal enden. Alkoholkonsum spürt man nicht, sodass es zu Vergiftungen kommen kann. Die Kombination mit Schlafmitteln birgt akute Lebensgefahr. All das macht die Zahlen der Drogenberichte noch beunruhigender, denn Crystal Meth drängt mit aller Macht auf den deutschen Markt. Im Vergleich zum vergangenen Jahr ist die Zahl der Konsumenten um mehr als 50 Prozent gestiegen.
Crystal Meth wirkt dabei etwa fünf Mal stärker als das herkömmliche Amphetamin , weil es die Blut-Hirn-Schranke leichter überwinden und so das Gehirn mit einer höheren Dosis fluten kann. Der Rausch setzt außerdem viel schneller ein. Wird es geraucht, spüren Konsumenten den Kick bereits nach Sekunden, beim Sniefen dauert es etwa fünfzehn Minuten. Crystal kann auch als Tablette konsumiert oder gespritzt werden, diese beiden Konsumformen sind jedoch selten.
Das Besondere an Crystal Meth ist der extrem lange Rauschzeitraum. Je nach körperlicher Verfassung und Menge kann die Droge bis zu 48 Stunden wirken. Durchschnittlich dauert der Kick zwischen sechs und elf Stunden. Da Crystal Meth meist einen sehr hohen Wirkstoffgehalt hat (bis zu 90 Prozent), reichen bereits geringere Mengen für einen starken Rauschzustand aus. Eine Überdosierung führt zum Herzstillstand.
Breaking Bad In den USA ist Crystal Meth seit den 1980er-Jahren eine angesagte Droge. Hier zu Lande war Metamphetamin nach dem Verbot von Pervitin in Vergessenheit geraten, doch das änderte sich durch eine US-amerikanische Fernsehserie. In „Breaking Bad“ fragt sich ein ehemaliger Chemielehrer, wie er die Behandlung für seinen Lungenkrebs bezahlen und seine Familie finanziell absichern soll, bis er zufällig in Drogenkreise gerät und feststellt, dass die Herstellung von Crystal Meth extrem viel Geld abwirft – und für ihn als Chemielehrer keine große Herausforderung ist.
Tatsächlich ist die Herstellung von Crystal Meth, das „Kochen“, mit Mitteln zu bewerkstelligen, die man in Drogeriegeschäften und Supermärkten bekommt. Es wird hauptsächlich durch chemische Reduktion von Ephedrin hergestellt, ein Wirkstoff, der sich in vielen frei erhältlichen Erkältungsmitteln findet. Das Ephedrin wird mit handelsüblichen Flüssigkeiten vermischt, zum Beispiel Abflussreiniger oder Batteriesäure.
Durch die chemische Reaktion entstehen Kristalle, die wie Kandiszucker aussehen. Je klarer und größer die Kristalle, desto hochwertiger die Droge. Doch die meisten Chargen sind verunreinigt, die verwendeten Flüssigkeiten tun ihr übriges, aus Crystal Meth die zerstörerischste aller Drogen zu machen.
Menschliche Wracks Eine Kampagne der US-Regierung zeigte erschreckende Vorher-Nachher-Bilder von Abhängigen. In wenigen Jahren, manchmal nur in Monaten, wurden aus normalen Gesichtern förmlich Totenmasken. Die Wangen eingefallen, die Haut fahl und übersät von offenen Wunden, statt eines strahlenden Lächelns nur noch kariöse Zahnstümpfe und Zahnlücken, der typische „Meth-Mund“.
Tatsächlich gilt Crystal Meth als destruktivste Droge. Sie macht sehr schnell abhängig und weil sich ebenso schnell Toleranzen bilden, muss die Dosis ständig erhöht werden.
Nach dem Kick kommt es zu teilweise tagelang anhaltenden „lows“, die durch Depressionen, Schlaflosigkeit trotz überwältigender Müdigkeit sowie Gereiztheit gekennzeichnet sind. Körper und Geist sind mit dem stunden-, manchmal tagelang anhaltenden Dauerstress, dem Abgeschlagenheit und Leere folgen, überfordert. Außerdem kommt es infolge der ständigen Dopaminflutung zu Schädigungen der Nervenzellen durch Oxidanzien. Gehirnzellen sterben ab, das gesamte Immunsystem wird stark geschwächt.
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 12/13 ab Seite 84.
Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist