Welch Ein Name
DER MANN MIT DEN GOLDENEN HÄNDEN
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Ann Darvall, eine 25jährige Studentin, war kurz zuvor bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Und Christiaan Barnard, Herzspezialist am Groote-Schuur-Hospital in Kapstadt, wagt etwas, das noch keiner vor ihm getan hat: Er entnimmt der zuvor als hirntot erklärten Frau das Herz und pflanzt es dem sterbenskranken Lebensmittelhändler aus Litauen ein, der die nächsten Stunden sonst nicht überlebt hätte. Dieser hatte ihn zuvor ausdrücklich dazu ermächtigt. Auch Philip Blaiberg, ein südafrikanischer Zahnarzt, will, dass Barnard ihm ein Herz verpflanzt – und das, obwohl Washansky gerade gestorben ist. Dieser zweite Patient überlebt die Operation immerhin um 18 Monate.
Ruhm stellt sich ein Der junge Chirurg traut sich was. Denn außer ihm waren noch andere Ärzte auf der Spur: die Amerikaner James D. Hardy und Norman Shumway zum Beispiel, ebenso technisch versiert, die kurz nach Barnard Herzverpflanzungen vornahmen. Doch von ihnen spricht keiner – alle reden nur von dem hageren Südafrikaner mit dem strahlenden Lächeln. Diesen überrollt nach der Operation ein Medienrummel sondergleichen.
Er, den außerhalb seines Landes zuvor keiner kannte, wird nun vom Papst zu einer Audienz geladen, der amerikanische Präsident empfängt ihn in seinem Wochenendsitz und die Filmschauspielerin Gina Lollobrigida lädt ihn in ihr Appartement, dort speziell in ihr Schlafgemach. Ein Leben, das der Sohn eines burischen Predigers durchaus genießt. Die Familie ist so arm, dass die Brüder sich schon mal Obst aus dem Nachbargarten aneignen müssen, um ihren Hunger zu stillen.
Ein Sohn stirbt an einer angeborenen Herzkrankheit. Zwei der Kinder, Chris und Marius, schlagen die Ärztelaufbahn ein, was nur dank ihrer herausragenden Intelligenz und Stipendien gelingt. Christiaan Barnard studiert in Kapstadt und Amerika, lernt dort an der Universität Minnesota die Operationstechnik und die Herz-Lungen-Maschine von Clarence Walton Lillehei kennen. Die Maschine bringt er mit, als seine einstige Alma Mater in Kapstadt ihn engagiert. Von da an übt er fleißig im Labor, an Hunden, die jedoch nach den Transplantations-Versuchen sämtlich versterben.
Christiaan Neethling Barnard
… wird am 8. November 1922 in Beauford West in Südafrika geboren. Der Sohn eines Predigers wächst mit vier Geschwistern in ärmlichen Verhältnissen auf und wird Arzt. Mit 40 Jahren ist er bereits Professor für Herzchirurgie. Am Groote-Schuur-Krankenhaus in Kapstadt nimmt er die erste Herztransplantation der Welt vor: Louis Washansky erhält das Organ einer kurz zuvor verstorbenen jungen Frau. Der Patient überlebt die Operation um 18 Tage, dann stirbt er an einer Lungenentzündung. Barnard wird zum Medienstar. Am 2. September 2001, 78jährig, erliegt der Chirurg einem Asthmaanfall.
Immunsystem wehrt sich Jedoch: „Die Misserfolge der frühen Jahre lagen nicht etwa daran, dass die Pioniere der Herztransplantation schlecht operiert hätten. Der ausschlaggebende Grund war vielmehr, dass es damals noch keine Medikamente gab, mit denen sich das Immunsystem beeinflussen ließ“, sagt Professor Brigitte Stiller von der Deutschen Herzstiftung. Denn: Das Organ eines anderen will das körpereigene Immunsystem als fremd abstoßen – erst als der Arzneistoff Ciclosporin 1977 erstmals eingesetzt wird, können Abstoßungsreaktionen zuverlässig unterdrückt werden.
Christiaan Barnard macht von sich reden. Allerdings überstrahlt sein Privatleben zeitweise das seines zweifelsfrei vorhandenen ärztlichen Könnens. Der 47jährige ist mit der ehemaligen Krankenschwester Louwtjie verheiratet, als der Ruhm über ihn hereinbricht, das Paar hat zwei Kinder. Seine Frau erlebt fassungslos, wie ihr Mann sich verändert: Er liebt die Publicity, sie das bodenständige Familienleben.
Aus dem dünnen, auf alten Fotos immer etwas verhungert wirkenden Doktor wird ein charismatischer Frauenheld, der auf keiner Gala und in keinem Nachtclub fehlt und zum beliebten Ziel der Society-Fotografen avanciert. Als sie einen Liebesbrief der Lollobrigida in seiner Arzttasche findet, in dem diese Einzelheiten der laufenden Affäre beschreibt, ist das Maß voll: Louwtjie lässt sich scheiden. Es wird nicht die einzige Trennung in Barnards Leben bleiben.
Barnards Arthritis lässt seine Fingergelenke schmerzhaft anschwellen. 1983 muss er das Skalpell endgültig aus der Hand legen.
Popstar der Medizin Der Chirurg genießt seine Popularität, die manchmal absurde Formen annimmt: Mit 200 Verehrerinnen-Briefen täglich ist er dem Guinness-Buch der Rekorde einen Eintrag wert; Mütter halten ihre Babys hoch, damit er sie küsst, wenn er aus dem Krankenhaus nach Hause fährt. Menschen aus aller Welt strömen ins Groote-Schuur-Hospital, um sich operieren zu lassen. Das Krankenhaus kann sein Glück kaum fassen und bewilligt Barnard alle medizinischen Anschaffungen, die er sich wünscht: „Manchmal“, so sagt er in seinen Lebenserinnerungen, „habe ich meine Wünsche nur nebenbei geäußert und bekam alles sofort“.
Auch sein Privatleben ist ihm hold: Nach der Scheidung von Louwtjie wird die bildhübsche Barbara Maria Zoellner seine Frau. Dass die Braut erst 18 ist, interessiert vor allem die Boulevardzeitungen. Die Ehe scheitert nach zwölf Jahren (Barbara betrügt ihn mit einem braungebrannten Playboy, für Barnard eine ungewohnte Erfahrung), dann folgt das deutschstämmige Model Karin Setzkorn. Barnard ist inzwischen 66 und musste bis zur Volljährigkeit seiner zukünftigen Frau ein paar Jahre warten. Kein Wunder, dass er aus den bunten Seiten der Yellow Press gar nicht wieder herauskommt, zumal das Paar auch noch zwei fotogene Kinder bekommt.
Ernsthafter ArztÜber all dem privaten Trubel geraten seine medizinischen Leistungen in den Hintergrund. Kollegen bezeichnen ihn dennoch immer wieder als führenden Chirurgen des Landes, anerkennen sein berufliches Können. Barnard ist in der Lage, seinen Widersachern („Sie sind ein Leichenfledderer“) scharfzüngig zu kontern, weiß sich in wissenschaftlichen Diskussionsrunden zu wehren.
Der promovierte Arzt hat auch einen Doktor in Philosophie – und das Problem, dass das Herz seit alters her als „Sitz der Seele“ angesehen wird, was die Debatte um die Transplantation emotional auflädt. Er erfindet die „Huckepack“-Transplantation – bei der das beeinträchtigte Herz im Körper belassen wird – und transplantiert als erster Mensch gleichzeitig Herz und einen Lungenflügel. Christiaan Barnard führt wohl ein Aufsehen erregendes Privatleben, doch er vernachlässigt niemals seine Patienten.
Ciclosporin
Als der Schweizer Biologe Hans Peter Frey 1969 Urlaub in den norwegischen Bergen macht, ahnt er nicht, dass er die Organtransplantation revolutionieren wird. Er findet auf einer Hochebene der Hardanger-Region einige Bodenkrümel, die ihm interessant erscheinen und packt sie ein. Im Labor findet sich „Tolypocladium inflatum Gams“, ein Pilz, der als Antibiotikum nichts taugt – aber sehr wohl als Unterdrückung der Abwehrreaktionen des körpereigenen Immunsystems. 1977 erstmals im Pilotversuch getestet, ist Ciclosporin heute Standardmedikament nach Organtransplantationen und mitverantwortlich dafür, dass die meisten der jährlich 300 Herztransplantationen in Deutschland gelingen.
Rassentrennung in Südafrika Auch zum Thema Apartheid hat der Südafrikaner seine eigene Meinung: Er holt den Farbigen Hamilton Naki als Anästhesist in sein Team. Der wird offiziell als „Putzhilfe“ geführt, denn Schwarze haben zu dieser Zeit keinen Zutritt in die Sphären eines Operationssaales. Doch Naki hat sich als so geschickt im Umgang mit Versuchstieren erwiesen und als so fingerfertig, dass Barnard ihm alles zutraut, was er selbst kann.
Zumal der weltberühmte Chirurg unter einem ganz anderem Problem leidet: Polyarthritis lässt seine Fingergelenke bei längeren Operationen schmerzhaft anschwellen, und bereits zu Zeiten der ersten Herztransplantation muss er Medikamente nehmen, um die Stunden am OP-Tisch zu überstehen. Am Schluss muss er aufgeben, was er so liebt: Am 31. Dezember 1983 legt er das Skalpell endgültig aus der Hand. Barnard ist durchaus zur Selbstreflexion fähig, das zeigt seine Autobiographie „Das zweite Leben“.
Er weiß, dass er ein unverbesserlicher Frauenheld ist und dass dies sein Leben nicht einfacher gemacht hat. Doch durch all die Beschreibungen außerehelicher Eskapaden schimmert in den medizinischen Passagen immer wieder hindurch, dass er ein leidenschaftlicher Arzt ist. „Ich bin ein launischer, selbstsüchtiger, reizbarer Perfektionist. Ich irre mich nie und Bescheidenheit ist nicht gerade meine Stärke“, sagt er selbstkritisch. „Aber abgesehen davon bin ich wirklich ein ganz netter Kerl.“
Ende des Lebens Der nette Kerl erlebt sein Waterloo am Ende seines Lebens. Karin Setzkorn hat ihn mit den Kindern verlassen. Einer seiner Söhne erleidet den Drogentod. Christiaan Barnard ist reich, berühmt – und allein. Auf eine Journalistenfrage, ob er noch einmal heiraten würde, bekannte er, dass ihm schon eine Freundin reichen würde.
Unweit seiner Urlaubsvilla auf Zypern bekommt der „Mann mit den goldenen Händen“ – Washansky hat ihn einmal so bezeichnet - , der einst Menschenmassen durch seine bloße Anwesenheit elektrisiert hat, einen Asthmaanfall. Eine Frau, die dies mit ansieht, weiß nicht, dass er sein Spray braucht, das nicht weit entfernt liegt; Passanten rufen erst um Hilfe, als Barnard sich nicht mehr bewegt. Am zweiten September 2001 stirbt der Chirurg. Bei der Obduktion stellt sich heraus, dass sein Herz kerngesund ist: Christiaan Barnard ist erstickt.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/17 ab Seite 90.
Alexandra Regner PTA/Redaktion