Repetitorium
BLUT UND BLUTBILDSTÖRUNGEN – TEIL 1
Seite 1/1 9 Minuten
Es gibt wohl kaum ein Körperteil, das mehr Symbolkraft besitzt als das Blut: Auf der ganzen Welt finden sich Vorstellungen, (Aber)Glaube, Legenden, Märchen und Mythen. Es wird dabei ebenso mit dem Tod wie mit dem Leben assoziiert. So kann tiefe Freundschaft mit einer Blutsbrüderschaft besiegelt werden, enge Verwandte werden als blutsverwandt bezeichnet und in vielen Völkern gilt bereits seit Jahrtausenden das Trinken von Tier- oder Menschenblut als kräftigend und heilend – bis hin zum ewigen Leben. Doch genauso muss Blut auch geopfert werden, sei es im religiösen Verständnis oder im Sinne uralter Handlungen wie Blutrache oder Blutzoll zahlen. „Blut ist ein ganz besonderer Saft“ wusste auch schon Goethes Mephisto.
Und das lässt sich auch aus physiologischer Sicht so sagen, denn Blut lässt sich als flüssiges Gewebe oder sogar flüssiges Organ betrachten, das vielfältige Transport- und Regulationsfunktionen erfüllt; mit Hilfe der mechanischen Kraft des Herzens gelangt es dabei in jeden Teil unseres Körpers. Etwa 70 bis 80 Milliliter Blut pro Kilogramm Körpergewicht werden so ständig durch unser Gefäßsystem gepumpt, das entspricht etwa fünf bis sechs Litern. Dabei besteht diese besondere Flüssigkeit aus einer protein- und mineralstoffhaltigen, flüssigen Interzellularsubstanz, dem Blutplasma, in dem sich verschiedene Blutzellen bewegen. Der zelluläre Anteil liegt zwischen 40 und 50 Prozent – und genau um den geht es in diesem Teil des Repetitoriums.
Von Erys, Leukos und Thrombos Am Anfang steht die pluripotente Knochenmarkstammzelle, sie ist die Mutter aller Blutzellen. Der Vorgang wird Hämatopoese genannt und läuft mit einer Produktionsrate von mehreren Milliarden reifer Blutzellen pro Tag ab. Denn viele der Blutkörperchen haben nur eine begrenzte Lebensdauer und müssen daher ständig erneuert werden. So gehen Erythrozyten nach 30 bis 120 Tagen oder Thrombozyten sogar bereits nach drei bis zehn Tagen zugrunde. Im Fall von Erythrozyten, Thrombozyten, Granulozyten und Monozyten findet die komplette Differenzierung im Knochenmark statt (myeloische Zellen). Die Fertigstellung von B- und T-Zellen geschieht in den lymphatischen Organen wie Thymus oder Lymphknoten (lymphatische Zellen).
Dabei stehen alle Produktionswege im Gleichgewicht und sind von verschiedenen Stellgrößen, Einflussfaktoren und dem Abbau der jeweiligen Zelltypen abhängig. Rote Blutkörperchen entstehen zum Beispiel durch den Einfluss des in der Niere produzierten Hormons Erythropoietin (EPO), es entstehen vermehrt Retikulozyten (unreife rote Blutzellen), die sich zu reifen Erythrozyten entwickeln. Bei dieser auch als Erythropoese bezeichneten Reifung und Proliferation spielen außerdem Eisen, Vitamin B12 und Folsäure eine Rolle. Dies wird unter anderem zur Bildung des Hämoglobins benötigt, einem Proteinkomplex, der sich in der Blutzelle befindet und für den Transport von Sauerstoff gebraucht wird.
Ist ihre Zeit gekommen, übernehmen Milz und Leber die Entsorgung der Erys, wobei das anfallende Hämoglobin zu Urobilin abgebaut wird, das für die typische Färbung des Urins verantwortlich ist; freiwerdendes Eisen wird recycelt. Genauso wie Thrombozyten sind Erythrozyten eigentlich keine richtigen Zellen, denn sie besitzen keinen Zellkern. Eine weitere Besonderheit der roten Blutkörperchen ist ihre Form, wie kleine in der Mitte eingedrückte Scheiben wandern sie als unser Sauerstofflieferant durch das Gefäßsystem. Und dabei sind sie auch noch sehr flexibel, denn sie müssen sich durch eine Vielzahl unterschiedlichster Gefäße bewegen – dafür müssen sie verformbar sein. Etwa 99 Prozent aller Zellen im Blut sind Erythrozyten, ein gesunder erwachsener Mensch hat etwa 25 Billionen davon.
Daher kann der Hämatokrit, das Verhältnis aller Blutzellen zum Blutplasma, im Grunde für die Konzentrationsbestimmung der roten Blutkörperchen herangezogen werden. Thrombozyten, die Blutplättchen, werden in einem ähnlichen Prozess gebildet, der entsprechend Thrombopoese genannt wird. Thrombopoietin ist hierbei die wichtigste Stellgröße. Obwohl sie die kleinsten Zellen unter den Blutzellen sind, kommt ihnen eine große Aufgabe zu. Bei einer Verletzung heften sie sich an das umliegende Gewebe (Thrombozytenadhäsion) und aneinander (Thrombozytenaggregation) und sorgen so für den ersten Wundverschluss.
Zusätzlich setzen sie gerinnungsfördernde Stoffe frei und fördern damit die anschließende Blutgerinnung. Leukozyten, die weißen Blutzellen, bilden sich in einem Vorgang, der auch als Leukopoese bezeichnet wird. Die Immunzellen haben unterschiedliche Aufgaben und Funktionalitäten, weshalb ihre Bildung etwas komplexer ist. Nach ihrer Entstehung werden sie in bestimmten Organen (zum Beispiel Milz, Mandeln, Lymphknoten) auf ihren zugedachten Dienst geprägt. Das heißt im Großen und Ganzen: Sie lernen, was körpereigen und was körperfremd ist, was wird verschont, was muss angegriffen werden.
Man unterteilt Leukozyten in: Granulozyten (neutrophile, eosinophile und basophile), also Fresszellen, die Bakterien, Pilze und Viren phagozytieren, B-Zellen, die für die Antikörper-Produktion zuständig sind, T-Zellen, die zusammen mit den B-Zellen die erworbene Immunantwort bilden und natürliche Killerzellen, die abnorme Zellen, wie beispielsweise Tumorzellen oder von Viren befallene Zellen, angreifen und abtöten. Außerdem zählen noch Makrophagen (Fresszellen), Mastzellen (beteiligt an allergischen Reaktionen) und Antigenpräsentierende Zellen wie die Langerhans`schen Inselzellen zu den Leukozyten.
Zusammensetzung des Blutplasmas
Das Blutplasma macht ungefähr 50 bis 60 Prozent des Blutes aus und besteht aus:
+ etwa 90 Prozent Wasser,
+ Plasmaproteinen (Albumine, Lipoproteine, Immunglobuline, Fibrinogen),
+ Elektrolyten,
+ Nährstoffen (z. B. Glukose, Lipide, Vitamine),
+ Organischen Säuren (z. B. Laktat, Citrat),
+ Abbauprodukten zum Abtransport (Kreatinin, Harnsäure) und + Hormonen.
Hämatologie: Zu viel oder zu wenig?Leichte Schwankungen bei den Blutwerten sind normal. Erkältungen, Stresssituationen, aber auch das Ernährungsverhalten oder die körperliche Konstitution können Einfluss auf die zelluläre Zusammensetzung des Blutes haben. Daher werden für die einzelnen Fraktionen keine exakten Werte sondern vielmehr Referenzbereiche angegeben, in denen sich die Werte bei einem gesunden Menschen bewegen sollten. Finden sich jedoch deutlich zu viel oder zu wenig von einer Zell-Sorte im Blut, sollte genauer hingeschaut werden und gegebenenfalls ein Hämatologe hinzugezogen werden. In der Hämatologie beschäftigt man sich mit den Krankheiten des Blutes beziehungsweise der blutbildenden Organe. Die häufigsten Erkrankungen in diesem Bereich stellen Anämien und Leukämien dar.
Blass, blasser – Anämie Die Anämie wird im Volksmund auch Blutarmut genannt, wobei das nicht in jedem Fall korrekt ist. Es handelt sich vielmehr um einen Mangel an Hämoglobin und/oder Erythrozyten. Zur Diagnosestellung werden vorrangig drei Kriterien betrachtet: Erythrozytenzahl, Hämatokrit (HKT) und Hämoglobinkonzentration (Hb). Sind diese erniedrigt, liegt eine Anämie vor. In der Folge kann der Körper nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt werden, das Herz muss mehr pumpen, um Defizite auszugleichen. Die klassischen und gleichzeitig recht unspezifischen Symptome sind daher Blässe, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Schwindel, Kurzatmigkeit und eventuell Herzrasen.
Bevor therapeutisch eingegriffen werden kann, muss zunächst die Form der Anämie ermittelt werden. So liegt eine relative Anämie vor, wenn die Erythrozytenzahl normal, das Blutvolumen aber verringert ist, wie es beispielsweise bei einer Schwangerschaft der Fall ist. Ist das Blutvolumen normal, die Zahl der roten Blutkörperchen allerdings vermindert, spricht man von einer absoluten Anämie. Im Fall einer Schwangerschaft gibt es noch den Sonderfall der Pseudoanämie. Dabei ist der Hb-Wert trotz normaler Erythrozytenzahl aufgrund von Wassereinlagerungen erniedrigt.
Zur Klassifizierung werden weitere Parameter herangezogen, die sogenannten Erythrozyten-Indices: das mittlere Erythrozytenvolumen (MCV; Größe der Blutkörperchen), die Hämoglobinmenge im Verhältnis zur Erythrozytenzahl (MCH), die durchschnittliche Hämoglobinkonzentration pro Erythrozyt (MCHC) und die Erythrozytenverteilungsbreite (EVB; wie stark die Abweichung der Größe der roten Blutkörperchen ist). Die häufigste Form ist die Eisenmangelanämie, von der häufiger Frauen betroffen sind. Im Blutbild erscheint der Hb-Wert erniedrigt, die Erys sind kleiner und enthalten weniger Hämoglobin als gewöhnlich. Häufigste Ursachen sind Blutungen oder Mangelernährung.
Dabei können sowohl sichtbare Verletzungen oder die Menstruation sowie versteckte Blutungen (zum Beispiel Blutungen im Magen-Darm-Trakt) eine Rolle spielen. Eine verminderte Aufnahme beziehungsweise ein erhöhter Bedarf an Eisen und Vitamin B12 (vegane Ernährungsweise) sowie an Folsäure können zu einer Eisenmangelanämie führen, genauso wie Aufnahmestörungen, Alkoholismus oder eine zu geringe Aufnahme von Förderstoffen wie Vitamin C. Dabei sollte zur Gehaltsbestimmung nicht der Eisengehalt des Blutes herangezogen werden – er ist durch die Ernährung zu schnell beeinflussbar – sondern der Ferritin-Wert, das sogenannte Depot-Eisen.
Die Bildung der Erythrozyten kann auch durch eine verminderte EPO-Ausschüttung bedingt sein, in diesem Fall spricht man von einer renalen Anämie bei beispielsweise (chronischen) Nierenfunktionsstörungen. Ebenso wie eine verminderte Bildung, kann auch ein erhöhter Abbau Grund für eine Anämie sein, zum Beispiel durch eine vergrößerte Milz, Arzneimittel oder Infektionskrankheiten. Ein bekanntes Beispiel für einen Erythrozytendefekt, der in Folge zu nicht funktionsfähigen Erys führt und damit zu einer Anämie, ist die Sichelzellenanämie.
Ein genetischer Defekt, der früher sehr nützlich war, denn in den wie Sicheln geformten roten Blutkörperchen vermehrte sich der Malaria-Erreger nicht so gut. Weshalb die Erkrankung vor allem in früheren Malariagebieten zu finden ist. Der Nachteil ist jedoch, dass in diesen funktionslosen Erys kein Sauerstoff transportiert werden kann, da das Hämoglobin beschädigt ist. Natürlich können auch Knochenmarksschädigungen oder -erkrankungen sowie Tumoren zu einer Anämie führen, dies kommt jedoch im Vergleich zu anderen Formen eher selten vor.
Aufgaben des Blutes
+ Gasaustausch: Sauerstoffversorgung und Abtransport von Kohlenstoffdioxid,
+ Nährstoffversorgung,
+ Wärmeregulation,
+ Stofftransport (zum Beispiel Hormone oder Stoffwechselprodukte, auch Abfallprodukte zur Entsorgung),
+ Abwehr von Krankheitserregern und Fremdstoffen,
+ Blutungsstillung und Wundheilung.
Funktionslose Abwehrzellen Bei einer Leukämie ist etwas während der Differenzierung der Leukozyten schief gegangen: Es bilden sich vermehrt funktionslose Vorstufen der Leukozyten, sogenannte Leukämie-Zellen. Sie breiten sich im Knochenmark, Blut und dem Lymphsystem aus und führen zu deren zunehmendem Funktionsverlust. Das führt zum einen dazu, dass die jeweiligen Organe (Lymphknoten, Milz) vergrößert sind. Zum anderen stört diese massive Ausbreitung auch die Bildung der anderen Blutzellen. Daher werden sich im Blutbild auch verminderte Werte für Erythrozyten und Thrombozyten finden. Infolgedessen leiden Betroffene unter Umständen nicht nur unter einer enormen Abwehrschwäche, sondern auch einer verringerten Blutgerinnung und einer Anämie.
Man kann in akute und chronische Leukämien unterscheiden, umgangssprachlich werden die Erkrankungen als Blutkrebs bezeichnet. Die häufigsten akuten Formen sind die Akute Myeloische Leukämie (AML) und die Akute lymphatische Leukämie (ALL). Bei der AML entstehen die Leukämiezellen aus unreifen Vorläuferzellen Myeloischer Zellen, sie betrifft vor allem Erwachsene, häufiger Männer, um die 60 Jahre. Bei der ALL bilden sich die Krebszellen aus unreifen Vorläuferzellen der lymphatischen Zellen. Es stellt die häufigste bösartige Erkrankung im Kindesalter dar. Während akute Leukämien plötzlich auftreten und unbehandelt in wenigen Wochen bis Monaten zum Tod führen, verlaufen chronische Leukämien meist über Jahre zu Beginn sogar häufig symptomarm.
Bei der Chronischen Myeloischen Leukämie (CML) werden drei Phasen durchlaufen: Zu Beginn ist die Zahl der Leukozyten stark erhöht, im zweiten Stadium sinkt ihre Zahl wieder ab und mit ihr die der anderen Blutzellen und im letzten Stadium sind dann vermehrt unreife Vorläuferzellen nachweisbar vergleichbar dem Verlauf der AML. CLL, also die Chronisch Lymphatische Leukämie, schreitet zwar auch nur langsam voran, stellt aber eigentlich eher eine Sonderform des Lymphknotenkrebs dar (malignes Lymphom). Natürlich kann die Leukozytenzahl auch aus anderen Gründen erniedrigt sein. Eine sogenannte Leukopenie tritt zum Beispiel bei Typhus, Influenza, Masern, einer Strahlen- oder Chemotherapie sowie nach Arzneimittelgabe auf. Die gefürchtete Nebenwirkung Agranulozytose ist unter anderem für bestimmte Antikonvulsiva, Sulfonamide, Metamizol oder Clozapin beschrieben.
Leben spenden In vielen Fällen kann nur noch eine Blutspende helfen, allein in Deutschland werden pro Tag durchschnittlich 15 000 Blutspenden benötigt. Denn bis heute ist es noch nicht gelungen, eine synthetische Substanz herzustellen, die dem Blut ebenbürtig wäre. Bei einer Vollblutspende lässt man in der Regel einen halben Liter Blut, der im Anschluss untersucht, aufgereinigt, konserviert und in einer Blutbank gelagert wird bis er zum Einsatz kommt. Die Spende kann allerdings auch in seine einzelnen Fraktionen aufgetrennt werden. Dies geschieht im ersten Schritt durch Zentrifugation, dabei trennen sich die zellulären Bestandteile vom Blutplasma.
Da die Blutzellen unterschiedliche Dichten aufweisen, finden sich im Zentrifugenglas ganz unten die Erys, dann kommt eine Schicht Leukos und oben auf befinden sich die Thrombos. Durch Abpressen mittels spezieller Technologie resultieren am Ende je ein Beutel mit Erythrozytenkonzentrat, ein Frischplasmapräparat und die Zwischenschicht (Buffy-Coat), die die weißen Blutkörperchen und die Thrombozyten enthält. Die Leukozyten werden im Anschluss noch um den Faktor 1000 reduziert, um Immunisierungsreaktionen beim Spender zu vermeiden. Zurzeit spenden etwa drei Prozent der deutschen Bevölkerung regelmäßig Blut. Um eine Versorgung aller Bundesbürger zu garantieren, schätzen Blutspendeorganisationen eine Beteiligung von sechs Prozent, daher finden immer wieder Spendenaktionen statt.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 01/19 ab Seite 70.
Farina Haase, Apothekerin/Redaktion