Politik

ARZNEIMITTELSICHERHEIT

Trotz intensiver Forschung, umfangreicher Tests und Prüfungen können Arzneimittel Risiken bergen, die zum Zeitpunkt der Zulassung nicht bekannt sind. Risikoerfassung, Risikobewertung und Maßnahmen zur Gefahrenabwehr sind im Stufenplan geregelt.

Seite 1/1 3 Minuten

Seite 1/1 3 Minuten

Alle Angehörige von Gesundheitsberufen sowie die Patienten sind gefordert, Verdachtsfälle von arzneimittelbedingten Risiken zu melden. Unbekannte Risiken sind vor allem bei neuen Arzneimitteln zu erwarten. Denn vor der Zulassung werden sie nur an wenigen Hundert oder Tausend Patienten und über einen begrenzten Zeitraum getestet. Insbesondere seltene Risiken fallen mitunter erst in der breiten und langfristigen Anwendung nach der Markteinführung auf. Ein Beleg dafür sind regelmäßig initiierte Stufenplanverfahren der Bundesoberbehörden.

Aber auch bei bekannten Wirkstoffen ist man vor Überraschungen nicht gefeilt, wie der Fall Clobutinol zeigte. Erst rund 50 Jahre nach der Markteinführung des synthetischen Antitussivums wurde eine dosisabhängige Verlängerung des QT-Intervalls bereits bei therapeutischer Dosierung festgestellt. Lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen und plötzlicher Herztod können die Folge sein. Die betroffenen Arzneimittel wurden daraufhin umgehend vom Markt genommen.

Risken Die Beobachtung, Sammlung und Auswertung von Arzneimittelrisiken ist ausführlich im Stufenplan beschrieben. Er regelt insbesondere die Zusammenarbeit zwischen den Bundes- und Landesbehörden, den Arzneimittelkommissionen, die Einbindung der pharmazeutischen Unternehmer , das Vorgehen nach Gefahrenstufen sowie die Informationswege. Als Arzneimittelrisiken kommen außer Neben- und Wechselwirkungen unter anderem auch Misbrauch, Abhängigkeit, Mängel der Qualität einschließlich Kennzeichnungsfehler in Betracht.

Gefahrenstufen Die Bezeichnung Stufenplan rührt von der Unterteilung in zwei Gefahrenstufen her. Wenn eingegangene Meldungen auf die Möglichkeit von erheblichen Risiken hinweisen, handeln die zuständigen Stellen nach einem festgelegten Stufenplan. In der Stufe I werden die betroffenen pharmazeutischen Unternehmer zunächst aufgefordert, zu dem vermuteten Arzneimittelrisiko weitere Informationen zur Verfügung zu stellen, insbesondere zur Häufigkeit, möglichen Ursache und dem Grad der Gefährdung.

Ergibt der Informationsaustausch einen begründeten Verdacht auf ein gesundheitliches Risiko (Stufe II), sind pharmazeutischer Unternehmer und zuständige Behörden verpflichtet, unverzüglich die zur Gefahrenabwehr notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Bei Gefahr in Verzug können die zuständigen Behörden notwendige Maßnahmen auch unabhängig vom Stufenplanverfahren treffen. Zuständige Behörden für Pharmakovigilanzprobleme sind das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bzw. das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), für Mängel der pharmazeutischen Qualität sind es die Landesbehörden.

Maßnahmenkatalog Zur Gefahrenabwehr steht den Behörden ein großes Arsenal an möglichen Maßnahmen zur Verfügung, beispielsweise Anwendungsempfehlungen für die Heilberufe und Abgabeempfehlungen für die Apotheken, Änderungen der Gebrauchs- und Fachinformation, Anordnung von Warnhinweisen, Ausweitung der Apothekenpflicht, Unterstellung unter die Verschreibungspflicht, Untersagung der Einfuhr, Anordnung des Arzneimittel Rückrufs und öffentliche Warnung sowie das Ruhen oder die Rücknahme der Zulassung.

Stufenplanverfahren Die Unterrichtung der Fachkreise über die Maßnahmen obliegt den Kammern der Heilberufe und wird durch Mitteilungen in der Fachpresse, mitunter zusätzlich auch durch die pharmazeutischen Unternehmer durch Rote-Hand-Briefe sichergestellt.

AMK Die Arzneimittelkommissionen der Ärzte und Apotheker arbeiten eng mit den zuständigen Behörden zusammen. Apotheker sind nach den Berufsordnungen der Kammern verpflichtet, bei der Erfassung von Arzneimittelrisiken mitzuwirken. Verwendung findet hierzu der bekannte Berichtsbogen. Von Interesse sind insbesondere Angaben zur unerwünschten Wirkung, Angaben zum Patient (Geschlecht, Alter), das in Verdacht stehende Arzneimittel, Dosierung, sonstige Medikation und Eintreten der unerwünschten Wirkung nach der Arzneimittelanwendung.

Schnellwarnsystem Produktion und Vermarktung von Arzneimitteln erfolgen in der Regel multinational. Deshalb wurde ein internationales Schnellwarnsystem (Rapid-Alert-System) sowie ein System zur Klassifizierung des Risikos etabliert. Klasse-1-Risiken sind potenziell lebensbedrohlich oder können schwere Gesundheitsschäden verursachen, Klasse-2-Mängel können Krankheiten oder Fehlbehandlungen verursachen.

Aktuelle Stufenplanverfahren Beispielhaft für mehr als ein Dutzend Stufenplanverfahren des BfArM in diesem Jahr sei auf die mögliche reduzierte Wirksamkeit bei der Behandlung von Brustkrebs mit Tamoxifen durch eine potenzielle Wechselwirkung mit dem Enzym Cytochrom P450 hingewiesen. Deshalb wurde unter anderem in die Gebrauchsinformation ein Hinweis aufgenommen, dass eine gleichzeitige Gabe von Paroxetin, Fluoxetin (z. B. bei Depressionen), Bupropion (zur Behandlung von Depressionen oder zur Unterstützung der Raucherentwöhnung), Chinidin (z. B. bei Herzrhythmusstörungen) und Cinacalcet (bei Erkrankungen der Nebenschilddrüse) die Wirksamkeit von Tamoxifen reduzieren kann (Cytochrom P 450 Inhibitoren).

Im Stufenplanverfahren „Antiepileptika“ veranlasste das BfArM die Aufnahme von Warnhinweisen und Hinweisen auf Nebenwirkungen von suizidalem Verhalten und Suizid in die Produktinformationen. Betroffen sind insgesamt achtzehn Wirkstoffe, beispielsweise Carbamazepin, Valproinsäure, Gabapentin, Lamotrigin, Clonazepam, Ethosuximid, Phenytoin, und Kaliumbromid.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 07/11 ab Seite 66.

Dr. Michael Binger, Hessisches Sozialministerium

×