Gerinnungshemmer
WIRKSAMER SCHUTZ VOR GEFÄSSVERSCHLUSS
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Wegen oft schwerwiegender und langanhaltender Auswirkungen auf die Gesundheit liegt ein Schwerpunkt unseres Gesundheitssystems auf der Prophylaxe und Therapie thromboembolischer Ereignisse. Eine frühzeitige Erkennung und Therapieeinleitung kann für die betroffenen Patienten lebensrettend sein. Der erste Gerinnungshemmer zur oralen Einnahme wurde 1922 durch Zufall entdeckt. Jahrelanger und intensiver Gerinnungsforschung ist es zu verdanken, dass heutzutage eine Vielzahl von Wirkstoffen in unterschiedlichen Darreichungsformen für die Gerinnungstherapie zur Verfügung stehen.
Wenn sich ein Gerinnsel bildetEine ununterbrochene Durchblutung stellt sicher, dass alle Gewebe und Organe rund um die Uhr mit lebenswichtigen Materialien versorgt werden. Kommt es im Gefäßsystem zu Verletzungen und droht Blutverlust, dann sorgen körpereigene Schutzmechanismen dafür, dass das Gefäß zuerst abgedichtet und nach der Wundheilung rasch wieder durchgängig gemacht wird. In einem gesunden Organismus befinden sich Gerinnung (Hämostase) und Gerinnungsauflösung (Fibrinolyse) normalerweise immer im Gleichgewicht. Gewinnen jedoch gerinnungsfördernde Faktoren die Oberhand, dann kann es passieren, dass unerwünschte Blutgerinnsel Gefäße verstopfen und den Blutfluss gefährden.
Auch arteriosklerotische Ablagerungen an den Gefäßinnenwänden sind in der Lage, Gefäße lebensbedrohlich einzuengen. In der Medizin bezeichnet man einen krankhaften Gefäßverschluss als Thrombose. Löst sich ein Blutgerinnsel von der Gefäßwand ab und bleibt in anderen Abschnitten des Gefäßsystems stecken, dann spricht man von einer Embolie. Thromboembolische Komplikationen betreffen nahezu alle medizinischen Fachbereiche. Ganz bevorzugte Orte für eine Thrombenbildung sind jedoch die tiefen Beinvenen und die Vorhöfe des Herzens, wenn der Patient unter Vorhofflimmern leidet.
Die modernen Gerinnungshemmer werden als DOAK bezeichnet – direkte orale Antikoagulanzien.
Klassiker und neue BlutverdünnerGerinnungshemmende Arzneistoffe nehmen Einfluss auf wichtige Bausteine in der Gerinnungssteuerung. Verordnet der Arzt Antithrombotika, so sind Ort und Ursache der Thrombenbildung entscheidende Kriterien für die Auswahl des geeigneten Präparates. Ebenso muss berücksichtigt werden, für welches Krankheitsbild der Wirkstoff zugelassen ist. Gerinnungsstörungen in den Arterien werden in der Regel mit Thrombozytenaggregationshemmern (TAH), Gerinnungsstörungen in den Venen überwiegend mit Antikoagulanzien therapiert. Thrombozytenaggregationshemmer hemmen die Aktivität und das Zusammenballen der Blutplättchen.
Der meistverordnete Arzneistoff aus dieser Wirkstoffklasse ist die aus der Schmerzbehandlung bekannte Acetylsalicylsäure. In geringer Menge gut verträglich, kann sie bei längerer Anwendung jedoch Blutungen im Magen-Darm- Bereich und Magengeschwüre auslösen. Als weitere Plättchenhemmer in Tablettenform sind die Arzneistoffe Clopidogrel, Prasugrel, Ticlopidin und Ticagrelor in Gebrauch. Antikoagulanzien greifen auf eine ganz andere Weise in das Gerinnungsgeschehen ein. Ihre Wirkung beruht auf der Synthesehemmung oder der direkten Blockade funktionsfähiger Gerinnungsfaktoren. Klassische Vertreter und die ältesten Gerinnungshemmer in Tablettenform sind die Vitamin K-Antagonisten; abgeleitet von ihrer chemischen Struktur werden sie auch Cumarinpräparate genannt.
Phenprocoumon ist der in Deutschland am häufigsten verordnete Arzneistoff dieser Arzneistoffgruppe, Warfarin wird vorrangig in den angloamerikanischen Ländern angewendet. Die Behandlung mit einem Vitamin K-Antagonisten ist für den Patienten nicht ganz unproblematisch. Denn zum einem setzt dessen Wirkung erst verzögert ein, und zum anderen nehmen vielfältige Faktoren Einfluss auf die Wirksamkeit. Um das richtige Ausmaß der Wirkung herauszufinden, ist es während der gesamten Therapie unerlässlich, die Arzneistoffdosis durch regelmäßige Gerinnungskontrollen zu ermitteln und in einem Wochenplan festzulegen; entweder in der Arztpraxis oder unter bestimmten Voraussetzungen auch zuhause mit einem handlichen Testgerät.
Die International Normalized Ratio, abgekürzt INR, ist die weltweit empfohlene Einheit bei der Bestimmung der Gerinnungszeit. Die neueren direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) sind vergleichsweise einfach zu handhaben. Ihre Wirkung tritt schnell ein, die Tablettendosis ist jeden Tag die gleiche, und vor allem: regelmäßige Gerinnungstests zur Therapieüberwachung können in der Regel entfallen. Eine Voraussetzung für die sichere Anwendung ist allerdings eine intakte Nierenfunktion. Derzeit sind vier Arzneistoffe aus der Klasse der DOAK auf dem deutschen Arzneimittelmarkt vertreten: Dabigatran, Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban. Zur zeitlich begrenzten Gerinnungsprophylaxe, wie zum Beispiel nach Operationen, bei Bettlägerigkeit oder anderen Formen der Immobilität sind die Niedermolekularen Heparine der Therapiestandard.
Ihr besonderer Nutzen liegt in einem schnellen Wirkungseintritt. Ebenso rasch kann ihre Wirkung auch wieder aufgehoben werden. Niedermolekulare Heparine sind in Form von Fertigspritzen im Handel und vielen Menschen auch als „Bauchspritzen“ bekannt. Der Patient kann sie sich leicht selbst verabreichen, wenn er gut über die Handhabung der Spritze informiert ist. Als Salben- und Gelzubereitungen finden Heparine auch bei Sportoder Unfallverletzungen zur lokalen Behandlung von Hämatomen und oberflächlichen Venenentzündungen Anwendung.
Und was sonst noch wichtig ist … Gerinnungshemmende Medikamente sind im Allgemeinen gut verträglich. Um eine effektive Wirksamkeit zu erzielen, ist eine gleichmäßige Gerinnungseinstellung besonders wichtig. Denn ist der Patient unterdosiert, steigt die Thrombosegefahr. Ist er überdosiert, besteht wiederum die Gefahr von Blutungskomplikationen. Besondere Beachtung gilt der Einnahme zusätzlicher Arzneistoffe, vor allem wenn diese ebenfalls in das Gerinnungssystem eingreifen. Acetylsalicylsäure, die häufig auch in Kombinationspräparaten zur Erkältungsbehandlung zu finden ist, ist das Schmerzmittel mit der stärksten gerinnungshemmenden Eigenschaft. Wird sie zusammen mit einem anderen Gerinnungshemmer eingenommen, erhöht sich auch die Blutungsneigung.
Um Arzneimittelwechselwirkungen von vornherein auszuschließen, empfiehlt es sich, vor der Abgabe weiterer Arzneimittel einen Interaktionscheck in der Apotheke durchzuführen. Thromboembolische Erkrankungen lassen sich nicht immer verhindern, sie entwickeln sich vorwiegend in fortgeschrittenem Lebensalter, wenn die Gefäße an Elastizität und die Organe an Leistungskraft verlieren. Aber auch ein ungesunder Lebensstil, üppiges und fettreiches Essen, Rauchen, Bewegungsmangel und Übergewicht begünstigen auf unterschiedliche Weise das Auftreten von Durchblutungsstörungen in den Gefäßen. Ein gesunder und vernünftiger Lebensstil trägt auf alle Fälle dazu bei, das Risiko einer Gerinnselbildung zu senken oder eine schon bestehende Krankheit erfolgreich zu bremsen.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 04/17 ab Seite 142.
Dr. Andrea Hergenröther, Apothekerin