Acetylsalicylsäure
VON DER WEIDENRINDE ZUM MODERNEN ANALGETIKUM
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Frühzeitige und konsequente Analgesie Aus der Schmerzforschung ist bekannt, wie wichtig es ist, akute Schmerzen schnell und gezielt zu behandeln. Je früher eine adäquate Schmerzbekämpfung eingeleitet wird, desto geringer ist die Gefahr, dass sich der Schmerz verselbstständigt und chronifiziert. Werden Schmerzmittel hingegen zu spät oder in einer zu geringen Dosis eingenommen, resultiert häufig eine unbefriedigende Analgesie, was wiederum eine (zu) häufige Schmerzmitteleinnahme nach sich ziehen kann. Dieser Aspekt ist in der Beratung zu berücksichtigen, beispielsweise bei der Abgabe von Schmerzmitteln zur Behandlung von Kopfschmerzen. Kopfschmerzen sind in der Selbstmedikation der häufigste Grund für den Gebrauch von Analgetika.
EINE SUBSTANZ MIT GESCHICHTE UND POTENZIAL
Acetylsalicylsäure ist das erste großtechnisch hergestellte Analgetikum und einer der am längsten produzierten Wirkstoffe. Vor 120 Jahren, im Jahre 1897 synthetisierte der Chemiker Felix Hoffmann die Acetylsalicylsäure durch Acetylierung der Salicylsäure. Bereits 1899 wurde sie unter der Marke Aspirin, die in die Warenzeichenrolle eingetragen wurde, zunächst als Pulver vertrieben. Ein Jahr später gelang es, eine stabile Tablette herzustellen. Damit war das Acetylsalicylsäurehaltige Analgetikum eines der ersten Arzneimittel überhaupt in der klassischen Tablettenform. 1950 war Acetylsalicylsäure bereits das meistverkaufte Schmerzmittel. Erst zwei Jahrzehnte später wurde das Wirkprinzip der ASS entschlüsselt. John R. Vane stellte fest, dass die Substanz die Bildung von Prostaglandinen im Körper hemmt, was die analgetischen, antipyretischen und antiphlogistischen Effekte erklärt. Dafür erhielt er den Medizinnobelpreis. Im gleichen Jahr veröffentlichten die Forscher J. B. Smith und A. L. Willis erste Hinweise darauf, dass Acetylsalicylsäure die Aggregation der Blutplättchen verhindern kann. Damit startete die zweite Karriere der Substanz als wirksames Mittel zur Herzinfarktund Schlaganfallprophylaxe. Eine Vielzahl von Studien hat in den folgenden Jahren die klassische Wirkung als Analgetikum sowie die kardioprotektiven Effekte der Substanz belegt. Zudem wurden neue Erkenntnisse gewonnen und potenzielle weitere Einsatzgebiete für die Acetylsalicylsäure erforscht. So liegen substantielle Hinweise vor, dass ASS ein vielversprechendes Mittel in der Prophylaxe verschiedener Tumorarten werden könnte (z. B. Vorbeugung von Dickdarmkrebs). 30 Andere Studien verweisen auf positive Effekte der Substanz in der Behandlung von Demenzerkrankungen.31
Schmerzmediatoren Beim Schmerzgeschehen spielen noch weitere Botenstoffe eine Rolle. Eine zentrale Position nehmen vor allem die Prostaglandine ein, die auch als Schmerzmediatoren oder Schmerzaktivatoren bezeichnet werden. Prostaglandine entstehen, wenn bei einer Gewebeschädigung oder Entzündung Arachidonsäure freigesetzt wird. Unter Einwirkung des Enzyms Cyclooxygenase (COX), das aus den Isoenzymen COX-1 und COX-2 besteht, wird diese in Prostaglandine umgewandelt. Prostaglandine erzeugen selber Schmerzen über eine direkte Erregung des Nozizeptors und über eine Förderung der Erregungsübertragung im zentralen Nervensystem. Darüber hinaus machen Prostaglandine Nozizeptoren empfindsamer und aufnahmefähiger und bewirken damit eine Rezeptorsensibilisierung. Zudem sensibilisieren sie Schmerzrezeptoren für andere Entzündungsmediatoren wie beispielsweise Histamin und Bradykinin und intensivieren somit gleichzeitig Entzündungsreaktionen.
Blockade der Cyclooxygenasen Grundsätzlich werden die verschiedenen Wirkungskomponenten der Acetylsalicylsäure über die Hemmung der Cyclooxygenase (COX) und damit einer Hemmung der Prostaglandin-Synthese vermittelt. Während das Isoenzym COX-1 überwiegend Prostaglandine bildet, die physiologische Effekte wie den Schutz der Magenschleimhaut und die Plättchenaggregation vermitteln, katalysiert COX-2 vor allem die Bildung von Prostaglandinen, die bei der Entstehung von Schmerzen, entzündlichen Prozessen und Fieberreaktionen beteiligt sind. Eine analgetische, antiphlogistische und antipyretische Wirkung erklärt sich also immer über die Hemmung der COX-2.
Nebenwirkungen resultieren vor allem aus der Blockade der COX-1. Der dadurch ausgelöste fehlende Schutzeffekt der Prostaglandine auf die Magenschleimhaut hat eine erhöhte Anfälligkeit der Magenschleimhaut für Blutungen und Geschwüre zur Folge. Ebenso wird eine Hemmung der Plättchenaggregation über eine selektive und irreversible COX-1- Blockade vermittelt. Die ausgeprägten thrombozytenaggregationshemmenden Eigenschaften werden kardioprotektiv genutzt und niedrig dosierte Acetylsalicylsäure nach einem akuten Myokardinfarkt zur Prophylaxe eines erneuten Herzinfarktes oder eines Schlaganfalls eingesetzt.
Gute Verträglichkeit Alle traditionellen NSAR hemmen sowohl die COX-1 als auch die COX-2, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß. Daraus lassen sich mögliche gastrointestinale Nebenwirkungen der NSAR, und somit auch die von Acetylsalicylsäure, erklären. Bei kurzzeitiger Einnahme sind allerdings keine schwerwiegenden gastrointestinalen Ereignisse zu erwarten. Wie eine Metaanalyse von 67 klinischen Studien mit über 13 000 Patienten aus 20 Jahren Forschung bestätigt, ist Acetylsalicylsäure in der kurzzeitigen Anwendung in der Behandlung von Schmerzen, Fieber und Erkältungsschmerzen vergleichbar gut magenverträglich wie Paracetamol und Ibuprofen.5
Schwerwiegende Ereignisse wie gastrointestinale oder zerebrale Blutungen wurden nicht beobachtet. Die gute Verträglichkeit konnte in weiteren Untersuchungen bestätigt werden. Zwei doppelblinde, randomisierte Studien im Parallelgruppendesign6 untersuchten die Wirksamkeit von Acetylsalicylsäure in einer modernen Formulierung mit schneller Wirkstofffreisetzung in den Dosierungen 650 Milligramm beziehungsweise 1000 Milligramm jeweils im Vergleich zur herkömmlichen Galenik sowie Placebo.
Eine relevante Schmerzlinderung wurde in beiden Studien mit der neuen Formulierung signifikant schneller erreicht als mit der herkömmlichen Galenik und Placebo. Die Zeit bis zum Eintritt einer relevanten Schmerzlinderung betrug bei der Formulierung mit schneller Wirkstofffreisetzung 48,9 Minuten sowie 49,4 Minuten bei 650 beziehungsweise 1000 Milligramm. Bei Anwendung der herkömmlichen Galenik dauerte es etwa doppelt so lang, nämlich 119,2 beziehungsweise 99,2 Minuten bei 650 beziehungsweise 1000 Milligramm. Nebenwirkungen traten in beiden Studien nicht häufiger auf als unter Placebo – auch nicht im Magen-Darm-Trakt.
Dass man der Acetylsalicylsäure häufig trotzdem eine schlechte gastrointestinale Verträglichkeit zuschreibt, liegt vermutlich an der früher üblichen Verwendung bei der Behandlung rheumatischer Erkrankungen. Hier wurden in Ermangelung anderer Wirkstoffe häufig hohe Tagesdosen von bis zu acht Gramm über Wochen und Monate gegeben. Dies führte oft zu einer schlechten Verträglichkeit. Heutzutage werden deutlich niedrigere Dosierungen von maximal drei Gramm pro Tag über einen kurzen Behandlungszeitraum von drei bis vier Tagen in der Selbstmedikation angewendet. Daraus resultiert eine gute Verträglichkeit.
Kopfschmerzen Der Schmerz hat viele Gesichter. Betroffene charakterisieren ihn auf vielerlei Art. Häufige Beschreibungen für die Schmerzqualität sind stechend, bohrend, ziehend, drückend, hämmernd oder brennend. Experten unterscheiden über 350 verschiedene Kopfschmerzformen, wobei mit 54 Prozent der Kopfschmerz vom Spannungstyp und mit 38 Prozent die Migräne am häufigsten auftreten. Der Kopfschmerz vom Spannungstyp lässt sich in die episodische und chronische Form unterteilen. Zeigt sich der Schmerz nur gelegentlich an ein bis zwei Tagen im Monat, liegt ein episodischer Spannungskopfschmerz vor.
Vom chronischen Spannungskopfschmerz spricht man, wenn die Beschwerden an mehr als 15 Tagen pro Monat oder an mehr als 180 Tagen pro Jahr erscheinen. Die Kopfschmerzdauer reicht von 30 Minuten bis zu sieben Tagen. Im Unterschied zur Migräne tritt der Spannungskopfschmerz meist beidseitig auf und hat einen drückenden bis ziehenden Charakter. Die Intensität ist lediglich leicht bis mäßig, wobei keine Verstärkung des Schmerzes durch körperliche Aktivität verursacht wird. Übelkeit, Geräusch- und Lichtempfindlichkeit können in seltenen Fällen vorkommen, neurologische Symptome fehlen.
Bei der Migräne handelt es sich um einen einseitigen pulsierend-pochenden Kopfschmerz. Frauen leiden häufiger an der Migräne als Männer. Bei der Migräne lassen sich grundsätzlich zwei Haupttypen unterscheiden. Die häufigere Form ist die Migräne ohne Aura, also Kopfschmerzen ohne neurologische Symptome. Es kommt zu wiederholten Kopfschmerzattacken, die in der Regel vier bis 72 Stunden andauern. Typischerweise ist nur eine Schädelhälfte betroffen, allerdings kann der Schmerz auf die andere Seite wechseln. Der Charakter der Schmerzen ist eher stechend oder pulsierend mit einer mittleren bis hohen Intensität.
Der Schmerz wird bei körperlicher Aktivität wie Treppensteigen oder Bücken üblicherweise verstärkt. Begleiterscheinungen wie Übelkeit und/oder Erbrechen sowie eine Geräusch-, Licht- und Geruchsempfindlichkeit sind während der Kopfschmerzphase charakteristische Zeichen. Bei der selteneren Migräne mit Aura sind vor der eigentlichen Kopfschmerzattacke neurologische Symptome vorgeschaltet. Es können sich dabei Reiz- und Ausfallerscheinungen wie Gesichtsfelddefekte, Wahrnehmung gezackter Figuren (Flimmerskotom), halbseitige Sensibilitätsstörungen, Lähmungserscheinungen, Sprech- und Sprachstörungen einstellen. So eine Aura entwickelt sich allmählich über fünf bis 20 Minuten und dauert üblicherweise nicht länger als eine Stunde. In einigen Fällen kann die sich normalerweise anschließende Kopfschmerzphase völlig fehlen.
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„Von der Weidenrinde zum modernen Analgetikum”