Postkarten
SCHREIB MAL WIEDER!
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Was haben das Hamburger Museumsschiff „Cap San Diego“, Grundschulkinder aus Kaltenkirchen/Schleswig-Holstein und 25 000 Postkarten miteinander zu tun? Ganz einfach: Für ein altes Schiff braucht man immer Geld. Die nächsten Arbeiten sollen mit dem Verkauf der 25 000 Postkarten zu je einem Euro finanziert werden. Den Grundstein dafür legten im Spätsommer die Schüler mit den ersten Postkarten.
Sie hatten im Unterricht geübt, wie man die schreibt. Wahrscheinlich habe ich das vor vielen Jahren auch in der Schule gelernt. Auf jeden Fall bekam ich in den Familienurlauben früher die Postkarten zugeschoben: „Schreib Du.“ Ich hatte eigentlich für nichts ein besonderes Talent. Aber Karten schreiben, das konnte ich. Es ist mir eine Freude geblieben. Geburtstage, Urlaube, Sehnsucht, Unsinn im Kopf – ein Anlass fand sich schon früher immer. In der Pandemie habe ich wie viele andere noch mehr Karten gekauft und losgeschickt. Oder mir zur Aufmunterung selbst hingestellt.
Die Postkarte galt mal als unanständig Dass Postkarten langweilig sind, fand ich nie. Und viele andere offenbar auch nicht. Vor zwei Jahren wurde im Berliner Museum für Kommunikation die Ausstellung „150 Jahre Postkartengrüße“ eröffnet. 1869 waren die höchst umstritten und man fand sie unanständig: Mitteilungen „auf offenem Postblatt“, für jeden mitzulesen! Doch das neue Format schlug ein. Rasch gab es Karten mit Stadtansichten, Sportereignissen, Kunstmotiven, Erotik zu kaufen. Im Jahr 1900 beförderte die Reichspost 440 Millionen Ansichtskarten. Die Feldpostkarten im Ersten und Zweiten Weltkrieg belegen, dass diese Mitteilungen nie nur für den heiteren Austausch da waren. In meinem Vorrat gibt es ebenfalls Karten für helle und für dunkle Tage. Trost- und Aufmunterungspost ist unverzichtbar. „Das geht vorbei“, versichern sich auf einer Karte zwei Möwen in strömendem Regen.
„Das Gras wird gebeten, über die Sache zu wachsen“: Dieses Motiv war schon mehr als einmal im Einsatz. Für alle Fälle hebe ich schon länger eine Karte mit einem „Selbstbewusstseinsspiegel“ auf. Und dem Text: „Wenn einmal Ihr großes Selbstbewusstsein etwas schwanken sollte, suchen Sie sich auf Ihrem Gesicht die schönste Stelle aus, zum Beispiel Ihr Lieblingsauge, Ihren Lieblingszahn, Ihre Lieblingsfalte. Und seien Sie einfach mit sich zufrieden.“ Meine Postkarten machen, bevor sie hoffentlich anderen eine Freude machen, immer auch mir eine.
Ausschau halten kann man danach überall, im hippen Großstadtladen wie im engen Bahnhofsshop. Mit Hilfe von Postkarten kann man sich einen Proviant an Sprüchen zulegen, bevor man so ein gutes Stück auf die Reise schickt. An die Mama, die sich tapfer bei Wind und Wetter bewegt („Lasset uns walken, bevor wir verkalken“). An den Sohn, der manchmal zu jugendlichem Hochmut neigt („Kann mir mal einer das Wasser reichen?“). An streitlustige Verwandte („Da ich Lactose und Gluten hervorragend vertrage, leiste ich mir als Ausgleich einige Intoleranzen im zwischenmenschlichen Bereich.“).
Verehrte Gewürzgurke … Sicher, gemailte Post ist auch fein. Doch wie hat es Charles Graf von Faber-Castell aus der Bleistift-Dynastie so schön formuliert: „Unser Alltag ist geprägt von Digitalisierung, Automatisierung, dem Sitzen vor Bildschirmen und dem ständigen Umgang mit dem Handy. Aber das provoziert auch einen Gegentrend. Die Menschen wollen wieder mit ihren Händen schreiben oder zeichnen.“ Ein Meister darin war der Schriftsteller Jurek Becker. Er schrieb Romane, Erzählungen, Drehbücher. Doch von ihm sind auch fast 1000 Postkarten erhalten. Allein die Anreden sind schon das Gegenteil von Kartentrott: Hochgeehrtes Liebchen. Ihr Vortrefflichen. Du alte Brummfiedel. Verehrte Gewürzgurke. Es seien „literarische Miniaturen, kleine poetische Gesten, Schreibaufmerksamkeiten“, so ein Kritiker zum Buch, das nach Beckers Tod aus den Karten entstand.
Titel: „Am Strand von Bochum ist allerhand los.“ Oft scheinen die Motive nichts mit dem Absendeort zu tun zu haben und auch nicht zum Text zu passen. Doch die Angeschriebenen wussten offenbar alles sehr wohl zu deuten. Auch das macht den Charme von Postkarten aus: Jeder, der sie in die Hände bekommt, kann sie lesen. Doch verstehen nicht unbedingt. Ein weiterer Reiz ist, dass sie auf engstem Raum viel Platz für Phantasie lassen. Wer das nicht glaubt, möge sich die Homepage von Sabine Rieker anschauen, hauptberuflich Postkartenschreiberin oder besser -gestalterin. Die Postkarte zähle „zu den größten kleinen Freuden, die man einem Menschen machen kann“, findet sie. Ich zum Beispiel hätte ihre Karte mit gezeichnetem Ventilator an einem heißen Sommertag gern aus dem Briefkasten gefischt.
Aber auch so ist in der großen weiten Welt der Postkarten immer was los. Der Portugiese Paulo Magalhães hatte vor Jahren die Idee, dass sich Fremde aus aller Welt gegenseitig Postkarten schicken könnten. Im Jahr 2005 ging die Plattform postcrossing.com an den Start. Es gibt gewisse Spielregeln, damit wirklich nur einzelne Karten verschickt werden. Und tolle Geschichten dazu. Robert aus Duisburg hat über Postcrossing Menschen aus der ganzen Welt gebeten, ihm Postkarten mit dem Text „Ja! Heirate ihn!“ in ihrer Muttersprache zuzuschicken. Das Ergebnis band er für den Heiratsantrag zu einem kleinen Buch. Natürlich hat seine Liebste gerührt „Ja“ gesagt. Internetaffine junge Reisende bloggen darüber, wie praktisch Postkartenkäufe unterwegs sind (kein Stress mit eigenen Fotos, zu Hause leichter als Erinnerung unterzubringen als andere Mitbringsel, immer noch ein schönes Lebenszeichen für geliebte Menschen).
Notfalls findet man Tipps, was man schreiben kann. Ich habe eine Seite entdeckt, die mir bei der Weihnachtspost mit Dialektsätzen geholfen hat. So konnte ich einen Verwandten im Norden mit einer Weihnachtskarte auf Plattdeutsch überraschen: „Lev Karl, Grööt vun Harten – föhlt jo drückt.“ Es stimmt: Ich bekomme viel weniger Postkarten, als ich schreibe. Aber das macht nichts. Ich weiß die seltenen Fundstücke meiner Familie und meiner Freunde zu schätzen. Den 1000-Postkarten-Schmöker von Jurek Becker, den mir eine gute Bekannte mitten im Jahr schickte: „Jetzt gibt es mal viele Postkarten zurück.“
Anregung für Postkartenliebhaber
+https://www.ausstellung-postkarte.de/
+www.diepostkartenschreiberin.de
+www.postcrossing.com
+https://eat-platt-love.de/postkarten-auf-plattdeutsch-schreiben/
Die Postkarte des Freundes, zu dem ich nach über 30 Jahren Funkstille wieder einen Draht gefunden habe, geschrieben mit leuchtend grüner Tinte und dem Hinweis: „War damals eine Zeitlang Deine Lieblingsfarbe für Postkarten.“ Die Überraschung für mich zum letzten runden Geburtstag: Meine beste Freundin hatte 52 Postkarten mit meiner Adresse beschriftet, bereits frankiert und Kalenderwochen darauf notiert. Die Gäste sollten ganz nach Geschmack zugreifen. Ein Jahr lang bekam ich dann wöchentlich Post. Also fast wöchentlich. Eher drei Jahre lang. So eine Postkarte rutscht einem ja schnell mal durch. Aber schlecht wird sie zum Glück nicht.
Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 01/2022 ab Seite 102.
Sabine Rieser, freie Journalistin