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Seltene Erkrankungen von A bis Z

FAMILIÄRE DYSAUTONOMIE

Diese neurogenetische Erkrankung tritt fast ausschließlich bei Juden osteuropäischer Abstammung auf. Sie betrifft vor allem das sensorische und das autonome Nervensystem.

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Weil sie sich über die vergangenen Jahrhunderte kaum mit der lokalen Bevölkerung vermischt haben, kommt bei Ashkenazi-Juden eine Reihe genetisch bedingter Erkrankungen häufiger vor als in der übrigen europäischen Bevölkerung. Dazu zählt auch die familiäre Dysautonomie mit einer Inzidenz von 1:3700 Lebendgeburten. Weltweit ist nur ein einziger Fall bekannt, in dem eine nicht-jüdische Person erkrankt ist.

Autonome Dysfunktion Die familiäre Dysautonomie wird nach ihren Erstbeschreibern auch Riley-Day-Syndrom oder Hereditäre Sensible und Autonome Neuropathie Typ 3 genannt. Sie ist bereits bei der Geburt manifest und verläuft progredient progressiv. Babys fallen durch Fütterungsprobleme und geringen Muskeltonus auf. Das Wachstum ist verzögert, bei vielen Patienten ebenso die motorische, sprachliche und soziale Entwicklung. Die Intelligenz ist jedoch nicht vermindert. Bei Patienten mit familiärer Dysautonomie ist die gastrointestinale Motilität gestört. Dies betrifft die oro-pharyngeale Koordination, die Peristaltik der Speiseröhre sowie die Magenentleerung.

Häufig kommt es auch zu gastro-ösophagealem Reflux. Episoden von länger anhaltendem Erbrechen sind möglich. Durch die Probleme mit dem Schlucken gelangen immer wieder Bestandteile der Nahrung und Magensäure in die Lunge, was zu wiederholten Aspirationspneumonien führt. Schwierigkeiten beim Atmen können auch zusätzlich durch die bei vielen Patienten zu beobachtende Skoliose bedingt sein. Dysfunktionen des autonomen Nervensystems äußern sich weiterhin darin, dass der Blutdruck und auch die Körpertemperatur stark schwanken können.

GENETISCHES SCREENING BEI ASHKENAZI-JUDEN
Weil in dieser Bevölkerungsgruppe einige genetisch bedingte Krankheiten häufiger vorkommen, werden vor allem in den USA spezielle Screening-Programme angeboten. Darin können sich Paare mit Kinderwunsch untersuchen lassen, ob sie Überträger sind. Sie umfassen Tests auf: Tay-Sachs-Krankheit, Canavan-Krankheit, Morbus Gaucher, familiäre Dysautonomie, Niemann-Pick-Krankheit Typ A, Fanconi-Anämie, Bloom-Syndrom, Cystische Fibrose. Alle die Krankheiten werden autosomal rezessiv vererbt. Stellt sich heraus, dass tatsächlich beide Partner Überträger für eine dieser Krankheiten sind, bedeutet dies, dass ein Kind mit 25-prozentiger Wahrscheinlichkeit erkranken wird. Dann bietet eine genetische Beratung die Möglichkeit, die Optionen zu diskutieren.

Vor allem beim Aufrichten in eine aufrechte Position fällt der Blutdruck ab, ohne dass das Herz schneller schlagen würde, um diesen Abfall auszugleichen. Weil die Rezeptoren nicht voll funktionsfähig sind, registriert der Körper eine Erhöhung des Kohlendioxidpartialdrucks im Blut ebenso unzureichend wie einen Abfall des Sauerstoffpartialdrucks. Besonders Kinder halten manchmal den Atem an, bis sie ohnmächtig werden. Zudem bilden Betroffene keine Tränen, wenn sie weinen. Der Gang wird zunehmend breitbeiniger und unsicherer.

Autonome Krisen Ein Teil der Betroffenen erleidet wiederholt sogenannte autonome Krisen. Sie gehen einher mit starkem Schwitzen, Rötung der Haut, Bluthochdruck, Herzrasen, Erbrechen, starken Schluckstörungen, Gereiztheit und Insomnie.

Sensorische Dysfunktion Patienten mit familiärer Dysautonomie zeigen auch Funktionsstörungen des sensorischen Nervensystems: Ihre Sensitivität für Schmerz sowie Veränderungen der Temperatur ist herabgesetzt. Die fungiformen Geschmackspapillen auf der Zunge fehlen, wodurch der Geschmackssinn eingeschränkt ist. Zusätzlich atrophiert der Sehnerv zunehmend, was mit einer Verschlechterung des Sehens einhergeht.

Ursache Grundlage für die familiäre Dysautonomie sind genetische Mutationen in dem Gen IKBKAP auf dem langen Arm des Chromosoms 9. Sie führen zu einem Splicing- Fehler, wodurch das Protein IKAP nicht in ausreichenden Mengen hergestellt wird. Dieses wiederum ist Teil eines Proteinkomplexes, der die Expression von weiteren Genen unterstützt, die für das Wachstum und die Entwicklung des sensorischen und autonomen Nervensystems sowie seine Funktionen notwendig sind. Die Vererbung erfolgt autosomal rezessiv.

Therapie Die Behandlung erfolgt unterstützend und präventiv. Dazu gehören Medikamente, die die Regulation des Blutdrucks sowie die respiratorischen sowie gastrointestinalen Funktionen verbessern sollen. Es können auch operative Eingriffe wie die Anlage einer PEG oder eine Wirbelsäulenversteifung erforderlich sein. Physiotherapie spielt eine wichtige Rolle. Die Forschung konzentriert sich darauf, den Splicing-Defekt zu modifizieren, um so die Herstellung größerer Mengen des IKAP-Proteins zu ermöglichen. Zellkulturversuche zeigen erste vielversprechende Ergebnisse. Die Wissenschaftler hoffen, daraus eines Tages eine Therapie entwickeln zu können.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 06/15 ab Seite 82.

Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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