Feiertage | Mutante
DIE LAGE IST BRISANT
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B.1.1.7 ist für das menschliche Auge zwar genauso unsichtbar wie alle anderen Coronavirus-Varianten. Doch wirft die Mutante einen Schatten auf unser Osterfest. Mittlerweile geht das Gros der Corona-Fälle – mehr als 70 Prozent der sequenzierten Patiententests – in Deutschland auf den zuerst in Großbritannien nachgewiesenen Virustyp zurück. Und der gilt als deutlich ansteckender als das ursprüngliche Virus. Zudem verursacht er schwerere Krankheitsverläufe – auch bei jungen Menschen. Zwar sei das Alter noch immer einer der wichtigsten Risikofaktoren, an Corona zu sterben, erläutert der Präsident der Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx. Dennoch: Die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie, Eva Grill, erwartet bei steigenden Corona-Zahlen mehr schwere Krankheitsverläufe bei jüngeren Menschen.
Deswegen mahnen Experten: Die Lage jetzt ist nicht ohne weiteres mit der vor Weihnachten vergleichbar. Sollte es zu ähnlich hohen Fallzahlen wie damals kommen, hätte das nun weitreichendere Folgen.
Momentan betreffen Corona-Ausbrüche laut Robert Koch-Institut (RKI) insbesondere private Haushalte sowie zunehmend auch Kitas, Schulen und das berufliche Umfeld. Der Saarbrücker Pharmazie-Professor Thorsten Lehr macht deutlich, dass - anders als das ursprüngliche Virus – sich B.1.1.7 schneller innerhalb von Familien ausbreitet. Bei der Mutante sei bald die ganze Familie infiziert, wohingegen früher selbst enge Angehörige nicht immer angesteckt wurden. Außerdem liegt die Sieben-Tage-Inzidenz schon wieder bei über 132 (Stand 31. März) – Tendenz steigend. Diese Kombination mache die Lage brisant:
Das ist ein Pulverfass, auf dem wir sitzen.
Lehr verantwortet einen COVID-19-Simulator. Dieser soll ermöglichen, Corona-Infektionen samt Krankenhausbettenbelegung, intensivmedizinischer Behandlung, Beatmung und Todesraten in den einzelnen Bundesländern vorherzusagen.
Auch Kai Nagel von der TU Berlin geht aufgrund seiner Simulationen von steigenden Zahlen aus. Er befürchtet bis zu 230 000 Neuinfektionen pro Tag im Mai. Dabei sei die dämpfende Wirkung der wärmeren Jahreszeit schon berücksichtigt worden.
Selbst, wenn bis Mitte April 15 Prozent der Bürger mindestens einmal geimpft wurden, ist das zu wenig, um die bis 70 Prozent höhere Zahl von Übertragungen durch die neue Variante B.1.1.7 auszugleichen. Neben der Überlastung des Gesundheitssystems sollte man auch andere Folgen der SARS-CoV-2-Infektion berücksichtigen, so Grill. Denn etwa jeder zehnte Erkrankte leidet noch Monate lang am sogenannten Post-COVID-Syndrom mit Symptomen wie Atemnot, Müdigkeit und kognitiven Einschränkungen.
Was helfen kann
Mehr Tests können vor allem dafür sorgen, dass Fälle früher erkannt und so aus dem Geschehen genommen werden können. Das RKI mahnt, es sei „weiterhin unbedingt notwendig“, sich am Arbeitsplatz konsequent vor Infektionen zu schützen. Die gesamte Bevölkerung müsse wachsam sein, Abstands- und Hygieneregeln – auch im Freien – einhalten, Innenräume lüften, wo geboten Masken tragen und Menschenansammlungen – besonders in Innenräumen – möglichst meiden. Es sind zwar inzwischen viele Menschen aus der besonders gefährdeten höchsten Altersgruppe geimpft, allerdings liegt der Anteil der Geimpften bei den Über-70-Jährigen erst bei gut einem Viertel, erklärt Lehr. Zudem dauere es ein paar Wochen, bis die Wirkung richtig einsetze. Er fasst zusammen:
Wir haben also ein bisschen Entschärfung durch die Impfung, aber eine Verschärfung durch die Mutanten.
Auch wenn es langsam vorangeht – die Deutsche Krankenhausgesellschaft sieht aufgrund des zunehmenden Impfschutzes immerhin einen positiven Punkt: Sollten wir vergleichbar hohe Inzidenzzahlen bekommen wie Weihnachten, werden die schweren Verläufe dennoch weniger häufig sein als in der zweiten Welle.
Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen sowie Lehr plädieren dafür, künftig auch die Wirkung einzelner Maßnahmen etwa in Betrieben, Schulen und Kitas genauer unter die Lupe zu nehmen. Nur dann könne man sinnvoll darüber entscheiden, welche Wege zum Ziel führen und die Pandemie wirklich bekämpfen. Und es gilt nach wie vor: Bleiben Sie im Zweifel lieber Zuhause.
Sabrina Peeters,
freie Journalistin