Diabetes
POLYNEUROPATHIE: DAS HILFT BEI NERVENSCHMERZEN UND KRIBBELN
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Neuropathie heißt wörtlich übersetzt „Nervenkrankheit“. Bei einer Polyneuropathie sind mehrere Nerven betroffen, und zwar im peripheren Nervensystem. Ein Problem bei der Behandlung: Oft erzielen Therapien keine Schmerzfreiheit, selbst eine Linderung ist schwierig. Bedenken sollte man auch, dass jeder Patient anders ist.
Auf dem Pharmacon in Meran fasste der Pharmakologe Professor Dr. Achim Schmidtko von der Goethe-Universität in Frankfurt am Main die Therapiemöglichkeiten der Neuropathie zusammen. Die Möglichkeiten sind überschaubar. Eine bekannte Substanz wird in der Leitlinie allerdings nicht erwähnt.
Zellschäden als Ursache der Neuropathie
Der Grund für die Beschwerden bei Polyneuropathie liegt bei Diabetes mellitus in der Stoffwechselstörung. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob Typ 1 oder 2 vorliegt. Der veränderte Zuckerstoffwechsel beeinträchtigt die Mikrozirkulation des Blutes, stört den Mitochondrien- und den Fettstoffwechsel und führt zur Bildung neurotoxischer glykierter Proteine.
Weil die Nervenzellen in den Füßen, Unterschenkeln und Händen die längsten Axone aller Neuronen im menschlichen Körper besitzen, sind sie in diesen Bereichen auch besonders empfindlich gegenüber den schädlichen Proteinen.
Genetische Komponente der Polyneuropathie
Auch der Genstoffwechsel ist verändert. Besonders stark hochreguliert wird bei Polyneuropathie ein Gen für die α2δ-Untereinheit von N-Typ-Calciumkanälen. Diese Kanäle regulieren die Übertragung von Schmerzen im Nervensystem. Die Untereinheit ist Target für Gabapentin und Pregabalin, die Mittel der ersten Wahl für die Behandlung der Polyneuropathie darstellen.
Mit Gabapentin oder Pregabalin lindern? Schwierig
Theoretisch, so Schmidtko, sei Pregabalin besser, denn sein Transportsystem ist gegenüber dem von Gabapentin nicht sättigbar. Deshalb liegt seine Bioverfügbarkeit konstant bei rund 90 Prozent. Die Bioverfügbarkeit von Gabapentin schwankt zwischen 30 und 80 Prozent. Außerdem besitzt Pregabalin eine etwas höhere Affinität zum Zielprotein.
Eine zufriedenstellende Schmerzreduktion, also um mindestens die Hälfte, erreichen beide Substanzen aber nur bei 30 bis 40 Prozent der Behandelten. Die Nebenwirkungsrate liegt aber bei 40 bis 60 Prozent. Überspitzt bedeute das, es sei wahrscheinlicher, eine Nebenwirkung zu bekommen, als eine Schmerzlinderung, so Professor Schmidtko.
Antidepressiva bei Nervenschäden
Auch tricyclische Antidepressiva wie Amitriptylin oder Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer wie Duloxetin gelten als Mittel der ersten Wahl. Sie kommen zum Beispiel dann in Frage, wenn Gabapentin und Pregabalin als Option ausscheiden. Entweder wegen des erhöhten Abhängigkeitspotenzials von vor allem Pregabalin oder, weil die Arzneimittel nicht ausreichend wirken.
Andere Antidepressiva sind nicht wirksam gegen die Nervenschmerzen. Man vermutet daher, dass sie schmerzstillende Wirkung der Antidepressiva auf der Hemmung der Noradrenalin-Wiederaufnahme im synaptischen Spalt beruht. Der genaue Wirkmechanismus ist aber unklar.
Capsaicinpflaster oder Opioide gegen Polyneuropathien
Mittel der zweiten Wahl sind topisches Capsaicin als Pflaster in hoher Dosierung (8 Prozent!) oder Opioide. Am besten scheint Tramadol zu wirken. Das (-)-Enantiomer des Wirkstoffes hemmt die Wiederaufnahme von Noradrenalin, während das (+)-Enantiomer eher die Wiederaufnahme von Serotonin beeinflusst.
Außerdem wirkt der Metabolit O-Desoxy-Tramadol als Agonist am µ-Opioidrezeptor. Diese Unterform der Opioidrezeptoren bewirkt vor allem eine supraspinale Schmerzlinderung, kann aber bei regelmäßiger Stimulation zu Abhängigkeit führen.
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Neuropathie-Leitlinien derzeit in Bearbeitung
Die Therapieleitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie werden derzeit überarbeitet. Sie raten von klassischen Schmerzmitten, wie NSAR oder auch Metamizol, wegen fehlender Wirksamkeit ab. Auch für den Radikalfänger Alpha-Liponsäure finden sich keine ausreichenden Belege für eine Empfehlung. Natriumkanalblocker wie Carbamazepin können im Einzelfall wirken, ebenso Lamotrigin oder Venlafaxin.
Und Vitamin B1?!
Aufmerksame haben es sicher schon bemerkt: Die Substanz Benfotiamin fehlt in den Empfehlungen. Es handelt sich hier um eine fettlösliche Vorstufe von Vitamin B1, welches im Zuckerstoffwechsel eine wichtige Rolle spielt und dessen Zufuhr einen Mangel verhindern kann. Auch dieser kann nämlich zu Neuropathien führen. Eine Leitlinienempfehlung gibt es aber nicht. Auch elektrische Nervenstimulation (TENS) weist nicht genug Evidenz auf. Probieren kann man es trotzdem, denn der Leidensdruck Betroffener ist oft hoch.
Allgemein, so Professor Schmidtko, sollte sowohl die Wirkstoffauswahl als auch die Dosis individuell für jeden Patienten ermittelt werden. Dabei muss der Arzt Nutzen und Risiken, wie Nebenwirkungen und Kontraindikationen, stets gegeneinander abwägen. Die Titration braucht zudem Zeit: Erst nach zwei bis vier Wochen einer ausreichenden Dosis kann beurteilt werden, ob eine Besserung eintritt. Auch eine Kombination mehrerer Wirkstoffe kann in Frage kommen.
Quellen:
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/was-tun-bei-nervenschmerzen-147771/
https://flexikon.doccheck.com/de/Opioidrezeptor
https://register.awmf.org/assets/guidelines/030-114l_S2k_Diagnose-nicht-interventionelle-Therapie-neuropathischer-Schmerzen_2023-07-abgelaufen.pdf