Herpes
KUSSVERBOT
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UV-Strahlung, Ekel, Stress oder andere Belastungen können Auslöser sein, dass sich die lästigen Lippenbläschen als häufigste Herpes-Form ausbilden. Betroffene spüren die Vorboten – Spannungsgefühl und Kribbeln – sehr schnell und kennen ihre typischen Risikofaktoren. Wer einmal Träger der Erreger ist, leidet häufig wiederkehrend unter den Hautläsionen. Da Lippenherpes von den meisten Patienten zunächst selber behandelt wird, ist kompetenter Rat aus der Apotheke wichtig. Abhängig vom Stadium der Erkrankung und den individuellen Bedürfnissen sollten PTA und Apotheker das richtige Mittel zur Linderung der Beschwerden auswählen.
Erreger vielfältiger Erkrankungen Die Familie der Herpesviren ist weltweit verbreitet. Über hundert Subtypen sind bekannt. Für den Menschen infektiös sind zum Beispiel das Epstein-Barr-Virus, das Zytomegalie-Virus, das Varizella-Zoster-Virus und das Herpessimplex-Virus. Herpesviren sind DNA-Viren, etwa 150 bis 200 Nanometer groß und gekennzeichnet durch eine Hüllenmembran und die Form eines Kubus. Zu den Herpessimplex-Viren zählen die Typen Herpes-simplex-Virus 1 und Herpes-simplex-Virus 2 (HSV2).
Beide werden über direkten Kontakt von Mensch zu Mensch übertragen. HSV1 ist der Hauptverursacher für Herpes labialis (Lippenherpes) während HSV2 als Erreger des Herpes genitalis bekannt ist. Beide können aber auch auf andere Körperregionen übertragen werden, beispielsweise durch oro-genitalen Kontakt.
Jederzeit bereitTypisch für Herpesviren ist ihr lebenslanges Verbleiben im menschlichen Körper nach der Erstinfektion – Experten wählen das Bild des „Schläfers“, um den Status der Viren zu beschreiben. Etwa 90 Prozent der Erwachsenen sind Träger von HSV1 – nur etwa 40 Prozent von HSV2. Der Übertragungsweg verläuft über Tröpfchenoder Schmierinfektion von Mensch zu Mensch. Dabei treten Herpesviren aus aufgeplatzten Bläschen aus und verteilen sich um den infizierten Bereich herum, zum Beispiel den Lippen oder im Genitalbereich. Nach Erstkontakt mit dem infektiösen Sekret dringen die Viren über winzige Eintrittspforten – Risse in der Haut über die Schleimhäute in den menschlichen Körper ein.
Sie befallen Wirtszellen und bauen ihre Virus-DNA in das Erbgut dieser ein. Über die Nerven wandern die Viren in Richtung des zentralen Nervensystems bis zu den Ganglien. Nun verbleiben sie möglicherweise Jahre oder Jahrzehnte in einem inaktiven Latenzstadium. Auf einen Impuls hin, zum Beispiel ein geschwächtes Immunsystem, werden sie wieder reaktiviert und entfalten ihre Virulenz. Dazu vermehren sie sich explosionsartig, wandern über die Nervenbahnen wieder an die Hautoberfläche und lösen abhängig vom Erreger eine Vielzahl von Symptomen aus.
FRAGEN FÜR DIE SELBSTMEDIKATION
- Soll das Mittel für Sie selber sein?
- Wie äußern sich die Beschwerden?
- Hatten Sie schon früher einmal Lippenherpes, kennen Sie den typischen Verlauf?
- Was haben Sie bisher schon gegen die Lippenbläschen unternommen?
- Haben Sie irgendwelche chronischen Erkrankungen, nehmen Sie regelmäßig Medikamente ein oder gibt es sonst etwas, das ich über Ihre Gesundheit wissen sollte?
Ursachen für eine Schwäche des Immunsystems können psychische und physische Belastungen sein. Stress ist ein häufig genannter Trigger, aber auch andere Infektionen, Medikamente, die immunsuppressiv wirken, wie Glukokortikoide, und UV-Strahlung zählen zu den bekannten Risikofaktoren, die einen Ausbruch der versteckten Viren begünstigen.
Typisch Lippenherpes Häufig findet die Erstinfektion mit HSV1 schon in frühen Jahren statt. Viele Kinder stecken sich bei ihren Eltern aufgrund des engen Körperkontaktes an. Möglich ist aber auch die Übertragung durch indirekten Kontakt über kontaminierte Gegenstände, Becher oder Besteck. Wichtig zu wissen ist, dass der eigentliche Überträger selber auch symptomlos sein kann. In diesen Fällen ist es schwierig, Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Die Inkubationszeit beträgt meistens eine Woche, kann aber auch länger dauern.
Zunächst verläuft die Infektion ohne nennenswerte äußere Symptome. Manchmal treten dabei Entzündungen der Mundschleimhäute mit Aphthen-Bildung auf. In sehr seltenen Fällen gibt es auch Verläufe, die von Fieber und deutlichen Schmerzen begleitet werden. Wann ein Virusträger das erste Mal einen Virusausbruch erlebt, ist nicht vorhersehbar. Auch Schweregrad und die Entstehung weiterer Rezidive sind individuell verschieden. Etwa 60 Prozent dieser Virusträger werden niemals in ihrem Leben unter Lippenherpes leiden. Andere machen mehrmals im Jahr eine Rezidivinfektion durch und haben einen hohen Leidensdruck.
Typisch für den Verlauf des Lippenherpes ist, dass die Viren Keratinozyten in der Lippenregion befallen, sich schlagartig vermehren und Bläschen am Übergang der Lippen zu den Mundwinkeln hin bilden. Betroffene spüren den Verlauf zunächst in Form eines Spannungsgefühls, Jucken und Kribbeln. Zu diesem Zeitpunkt ist die Lippenhaut noch komplett intakt, vielleicht etwas stärker durchblutet.
»Neurodermitis-Patienten sollten achtgeben, dass sich Herpes-Erreger nicht auf der ekzematös vorgeschädigten Haut ausbreiten.«
Nach etwa einem bis zwei Tagen dieser Eingangsphase entstehen die charakteristischen kleinen Bläschen, die nun mit hochinfektiöser Flüssigkeit angefüllt sind. In der Ulzerationsphase brechen sie auf, es entstehen nässende schmerzende Wunden. In diesem Stadium ist die Infektionsgefahr am größten. Direkter Kontakt sollte unbedingt vermieden werden.
Nach kurzer Zeit bilden sich im Heilungsprozess Krusten, die die Wunden langsam verschließen und nach etwa einer Woche narbenlos abfallen. Die körpereigene Abwehr hat nun erreicht, die Viruslast zu senken und zu bekämpfen. Nachhaltig beseitigt werden können die Viren jedoch nicht, sie schlummern wieder bis zur nächsten Reaktivierung in den Ganglien. Dieser Krankheitszyklus kann sich jederzeit wiederholen und viele Betroffenen berichten über bis zu zwölf Episoden im Jahr.
Therapieoptionen Lippenherpes lässt sich über verschiedene Wege behandeln: Angriff der Viren, Förderung des Heilungsprozesses und Prophylaxe. Die Klassiker zur Therapie des Lippenherpes sind Cremes und Salben, die die synthetischen Nukleosidanaloga Aciclovir und Penciclovir enthalten. Diese Nukleosidanaloga unterscheiden sich von natürlichen Nukleosiden durch eine Veränderung der Basenkomponente Guanin.
Das Wirkprinzip ist, dass diese in die infizierte Zelle eindringen und dort die Neubildung der Virus-DNA stören. Sie hemmen dort die Polymerasen, die die Virusreplikation durchführen und unterbinden die weitere Vermehrung der Viren. Aufgrund des Wirkungsmechanismus wird deutlich, dass eine Verkürzung des Krankheitsverlaufs am besten möglich ist, wenn Aciclovir und Penciclovir noch in der Vermehrungsphase der Viren eingesetzt werden, nicht erst, wenn das Lippenbläschen bereits aufgeplatzt ist. Frühzeitig angewendet beschleunigen diese Mittel die Heilung der Hautläsionen und lindern die Beschwerden.
PTA und Apotheker sollten auf die regelmäßige Anwendung hinweisen: Penciclovir wird alle zwei Stunden, Aciclovir fünf Mal täglich aufgetragen. Im Gegensatz zu Aciclovir soll Penciclovir auch noch in der späteren Bläschenphase eine Wirkung haben. Für Aciclovir gibt es keine Altersbeschränkung während Penciclovir erst ab zwölf Jahren eingesetzt werden soll. Ein Vorteil der penciclovirhaltigen Creme ist, dass sie auch in einer getönten Form erhältlich ist. So lassen sich die Krusten und Bläschen unauffällig verdecken.
Eine pflanzliche Alternative mit antiviraler Wirksamkeit ist eine lokale Zubereitung aus hochkonzentriertem Melissenextrakt. Die enthaltenen Lamiaceengerbstoffe sollen den Eintritt der Viren in die Zellen behindern. Die ätherischen Öle der Melisse wirken außerdem leicht antibakteriell. Cremes mit Melissenextrakt können prophylaktisch oder in der Anfangsphase der Erkrankung verwendet werden. Insbesondere für Kinder und Schwangere sind diese Cremes gut geeignet.
Patches auf Hydrokolloidbasis sind wirkstofffrei und haben somit keinen direkten Effekt gegen die Virusinfektion und -vermehrung, aber sie unterstützen die Phase der Wundheilung. Indem sie ein feuchtes Wundmilieu erzeugen, heilen die Hautläsionen besser und schneller ab, zumal die Lippenregion oft rissig ist und die Krusten beim Sprechen aufplatzen. Ein weiterer Vorteil ist, dass diese durchsichtigen Patches zum Beispiel mit Lippenstift überschminkt werden können.
Kunden, die Salze nach Dr. Schüßler als Behandlungsmöglichkeit wünschen, kann Nr. 8 Natrium chloratum D6 als Tabletten oder Salbe angeraten werden. Beides kann auch kombiniert angewendet werden. Für akute Beschwerden ist es außerdem möglich, dazu Nr. 3 Ferrum phosphoricum D12 im Wechsel einzunehmen. Aus den Tabletten kann mit etwas Wasser ein Brei hergestellt werden, der mit einem Wattestäbchen auf die betroffenen Stellen aufgetragen wird.
Prävention und Pflege Prophylaktisch können Apotheker und PTA Lippenpflege-Produkte mit Lichtschutzfaktor und Vitamine zur Stärkung der Immunabwehr empfehlen. Insbesondere in der Erkältungszeit stellt sich häufig ein Herpes im Zuge eines grippalen Infektes ein. Wenn dann die Lippen rissig und beansprucht sind, ist eine regelmäßige Pflege das A und O. Ein Präparat mit hochdosiertem L-Lysin, Mikronährstoffen wie Selen, Vitamin C, Vitamin B2 (Riboflavin) und Zink soll das Immunsystem unterstützen und die Hautfunktion erhalten. Betroffenen mit Lippenherpes wird geraten, die Kautabletten beim ersten Kribbeln und Spannungsgefühl zur Unterstützung einzunehmen.
PRÄVENTION UND MASSNAHMEN:
- Stärkung des Immunsystems
- Vermeidung von Stress und genug Schlaf
- Vermeidung von UV-Strahlung
- Vermeidung von Kontakt mit unsauberen Gläsern und Besteck
- Pflege der Lippen mit Pflegeprodukten, die einen Lichtschutzfaktor enthalten
- Bei Lippenherpes auf Hygiene und Ansteckungsrisiko achten, insbesondere bei Kontakt mit Schwangeren, Säuglingen und Immungeschwächten
- Behandlungsbeginn bei den ersten Symptomen
Wer unter ständigen Rezidiven leidet, sollte den Aspekt „psychischer Stress“ einmal kritisch hinterfragen. Vielfach ist ein Herpes auch Ausdruck einer Überforderung des Körpers. Um die persönlichen Risikofaktoren zu identifizieren, ist es sinnvoll über einen längeren Zeitraum zu notieren, in welchem Zusammenhang der Herpes, wie lange und wie stark auftritt. So können nachfolgend bewusst bekannte Auslöser vermieden werden. Methoden zum Stressabbau wie autogenes Training, Entspannungsübungen und ausreichend Schlaf können helfen, auch die lästigen Lippenbläschen in den Griff zu bekommen.
Nicht empfehlenswert Immer wieder lesen Kunden im Internet, dass sogenannte Hausmittel wie Zahnpasta, Alkohol, Honig oder Quark gegen Lippenherpes erfolgreich eingesetzt werden können. In der Apotheke sollten PTA und Apotheker von diesen Optionen abraten. Für keine dieser Methoden gibt es wissenschaftliche Untersuchungen, antiviral wirken sie ebenfalls nicht und zudem trocknet zum Beispiel Alkohol die Wunden aus und verlängert möglicherweise den Heilungsprozess. Teebaumöl wird ebenfalls auch immer wieder als gutes Mittel diskutiert, birgt aber ein hohes allergisches Potenzial.
Ein Fall für die Selbstmedikation Apotheker und PTA sind tagtäglich mit dem Thema Lippenherpes in der Selbstmedikation gefordert. In den meisten Fällen ist eine Behandlung des Patienten mit Salben und Cremes zur Linderung der Beschwerden möglich. Zunächst sollte abgefragt werden, ob es sich tatsächlich um für den Kunden bekannte Symptome eines typischen Lippenherpes handelt. Viele Betroffene haben schon Erfahrungen mit diversen Präparaten und verlangen genau diese wieder.
Sinnvoll ist es, abzugrenzen, in welcher Phase der Infektion sich der Kunde befindet und was die individuellen Bedürfnisse des Einzelnen sind. Eine junge Frau, die einen wichtigen Termin vor sich hat, möchte insbesondere das kosmetische Problem lösen. Hier ist die getönte Creme mit Penciclovir oder ein hydrokolloidhaltiges Patch eine gute Empfehlung. Ein anderer legt nicht so viel Wert auf die Optik, aber bevorzugt Arzneimittel auf pflanzlicher Basis. Hier sind eine Creme mit Melissenextrakt und der Rat, auf ausreichenden Sonnenschutz und die Stärkung des Immunsystems zu achten, die richtige Wahl.
Komplikationen Schwere Verläufe können auftreten, wenn sich eine Sekundärinfektion mit Bakterien oder Pilzen einstellt. Sekundärinfektionen durch Staphylokokken oder Streptokokken können antibiotisch behandelt werden. Einige Patienten klagen über größere Läsionen bis an die Nasenschleimhaut oder die Wangen. Dies kann zum Beispiel passieren, wenn eine starke Immunschwäche vorliegt, wie unter einer Immunsuppression aufgrund einer anderen Erkrankung – HIV – oder einer entsprechenden medikamentösen Therapie mit Immunsuppressiva. Dann muss Acidorin in Tablettenform gegeben werden.
Gelangen Herpes-Erreger über das Blut in das Gehirn, droht die Gefahr einer Herpes-Enzephalitis oder einer lebensgefährlichen Meningitis. Stecken sich Neugeborene bei der Mutter an, ist dieses Risiko auch gegeben, da die Erreger bei Säuglingen leichter ins Blut gelangen und sich dann die Infektion im ganzen Körper ausbreiten kann.
Neurodermitis-Patienten sollten achtgeben, dass sich Herpes-Erreger nicht auf der ekzematös vorgeschädigten Haut ausbreiten. Werden die Augen befallen, droht die Verschlechterung der Sehfähigkeit. Der Befall der Hornhaut neben den Augenlidern (Herpes corneae) äußert sich in Form von Rötung, Fremdkörpergefühl, Jucken und Brennen, Tränen und verklebten Augenlider am Morgen – Symptome, die auch bei bakterieller Bindehautentzündung auftreten. In all diesen schweren Fällen ist der Arztbesuch angezeigt, um Spätfolgen zu verhindern.
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 07/15 ab Seite 14.
Dr. Katja Renner, Apothekerin